Eidgenössische Feste

Die Idee eines schweizerischen Nationalfests entstand 1798, im ersten Jahr der Helvetischen Republik. Patriotischer Weiheakt, Wettbewerb und Volksfest sollten sich zum Abbild der Republik und der Demokratie vereinen. Damit wurden Elemente des alteidgenössischen Festwesens (Feste, Schlachtjahrzeiten) mit solchen französischer Revolutionsfeste (u.a. Bankette) verbunden. Diese Formel prägte massgeblich die eidgenössischen Feste des 19. Jahrhunderts. Die Alphirtenfeste in Unspunnen 1805 und 1808 können als erste Umsetzungen dieses Programms gelten. Die Schwäche der eidgenössischen Institutionen im 19. Jahrhundert verunmöglichte jedoch die Organisation staatlich verordneter Nationalfeste. Allein der Bettag (ab 1796) und die 1891 erstmals, ab 1899 jährlich begangene Bundesfeier können als solche bezeichnet werden.

Verbandsfeste als Nationalfeste

Vor diesem Hintergrund entwickelten sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die grossen Verbandsfeste der Schützen (Schützenwesen), Sänger (Chorwesen) und Turner (Turnbewegung) zu Nationalfesten schlechthin, zu Beschwörungsveranstaltungen im Dienst der nationalen Einheit. Diese Anlässe wurden in regelmässigen Abständen, jedoch jedesmal an neuen Festorten durchgeführt, um die regionalen Interessen und Möglichkeiten gebührend zu berücksichtigen. Damit wurden sie zum Abbild des föderalen Aufbaus der Eidgenossenschaft. Obwohl die verkehrstechnisch gut erschlossenen Städte des Mittellands im Vorteil waren, markierten die Abstecher in die Innerschweiz, den Jura und das Tessin den Willen, alle Kantone einzubeziehen. Zu dieser Art Veranstaltungen gehörten auch die Schweizerischen Musikfeste der Allgemeinen Schweizerischen Musikgesellschaft (Musikvereine), die zwischen 1808 und 1867 30-mal stattfanden. Im Gegensatz zu den späteren grossen eidgenössischen Verbandstreffen blieb aber hier die patriotische Zielsetzung im Hintergrund.

Abschlussball des eidgenössischen Musikfestes auf der Münsterplattform in Bern, 1827. Aquatinta von Franz Hegi (Burgerbibliothek Bern).
Abschlussball des eidgenössischen Musikfestes auf der Münsterplattform in Bern, 1827. Aquatinta von Franz Hegi (Burgerbibliothek Bern). […]

Der Anspruch, dem nationalen Gedanken im eidgenössischen Fest Ausdruck zu verleihen, wurde zuerst vom Eidgenössischen Schützenverein erhoben. 1824 fand das erste Eidgenössische Schützenfest in Aarau statt. Ungefähr im Zweijahresrhythmus trafen sich darauf die Schützen zum Wettbewerb und zur Beschwörung des Vaterlands. In der Regenerationszeit wurden die Schützenfeste zur Plattform der politischen Erneuerungsbewegungen, waren aber auch Ort heftiger Auseinandersetzungen (Öffentlichkeit).

1832 begannen die Feste der Turner und 1843 jene der Sänger. Wie die Schützenfeste waren sie reine Männerfeste, die Frauen fanden allenfalls als Zuschauerinnen Platz. Neben dem Wettbewerb als Abbild der demokratischen Bürgergesellschaften stand die kollektive Verherrlichung des Vaterlands im Zentrum. Die Festhütten wurden zu eigentlichen Kathedralen eines nationalen Kults. Das gemeinsame Essen, Trinken und Singen gipfelte in Reden, Trinksprüchen sowie dem patriotischen Bekenntnis zur neuen Eidgenossenschaft.

Nach 1848 sollten die eidgenössischen Feste die nationale Versöhnung verkörpern. Bewusst wurde auf die Integration der verschiedenen Sprachen (Mehrsprachigkeit) und Konfessionen (Religiöse Toleranz) hingearbeitet. Die Grossveranstaltungen, ergänzt durch Umzüge und Festspiele, wirkten über den Kreis der Teilnehmer hinaus und erlaubten den Einbezug breiterer Schichten. Doch diese Grossanlässe mit tausenden Beteiligten dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich nur eine kleine Schicht von Männern die Teilnahme leisten konnte. Insbesondere die Schützenfeste waren Repräsentationsorte der staatstragenden wirtschaftlichen und politischen Eliten. In Abgrenzung zu den etablierten Verbänden konstituierten sich im Rahmen der Arbeiterbewegung eigene Organisationen (Arbeitervereine), die ihre Feste im Gegensatz zu den eidgenössischen als schweizerisch bezeichneten.

Das moderne Grütli. Öl auf Leinwand von Ferdinand Hodler, 1887 (Musée d'art et d'histoire Genève, Dépôt de la Fondation Gottfried Keller, no inv. 1911-0001).
Das moderne Grütli. Öl auf Leinwand von Ferdinand Hodler, 1887 (Musée d'art et d'histoire Genève, Dépôt de la Fondation Gottfried Keller, no inv. 1911-0001). […]

Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erhielten weitere Verbandsfeste ihren festen Platz in der traditionellen Festkultur. Nach der bewährten Formel gestalteten sich die Feste des Eidgenössischen Musikvereins (seit 1998 Schweizer Blasmusikverband) ab 1864, des Eidgenössischen Schwingerverbands und des Pontonier-Vereins ab 1894 sowie der Hornusser ab 1903 (Nationalspiele der Schweiz). Ein weit verzweigtes Netz von kantonalen und regionalen Verbandsfesten bildete sich nach dem Muster der eidgenössischen Feste aus, die den Höhepunkt einer abgestuften Festkultur darstellten.

Vom patriotischen Kult zur Leistungsschau

Die im 19. Jahrhundert entstandenen eidgenössischen Feste mussten sich schon um die Jahrhundertwende veränderten gesellschaftlichen Umständen anpassen. Die politische Geselligkeit der Männer, wo der Alkohol als nicht wegzudenkender Katalysator der patriotischen Emotionen wirkte, blieb nicht unangefochten. Neue Formen der Massenunterhaltung, Massenkommunikation und des Freizeitverhaltens (Sport, Tanz, Kino) prägten nicht nur ein neues Verhältnis zwischen den Geschlechtern, sondern veränderten auch die traditionellen Festformen (Freizeit).

Bericht vom 57. Eidgenössischen Turnfest in St. Gallen, 21.-25. Juli 1922. 35-mm-Stummfilm von Willy Leuzinger (Cinémathèque suisse, Filmsammlung Cinema Leuzinger, Signatur 64a; Konsultativkopie Memobase ID CS-19_1).
Bericht vom 57. Eidgenössischen Turnfest in St. Gallen, 21.-25. Juli 1922. 35-mm-Stummfilm von Willy Leuzinger (Cinémathèque suisse, Filmsammlung Cinema Leuzinger, Signatur 64a; Konsultativkopie Memobase ID CS-19_1). […]

Der leistungsorientierte Aspekt der eidgenössischen Feste rückte seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts in den Vordergrund. Das fragile Gleichgewicht zwischen patriotischem Kult und Wettbewerb verschob sich in der Zwischenkriegszeit endgültig zu Gunsten des Letzteren. Wettbewerb, Umzug und Festspiel begannen sich vom offiziellen Festakt zu lösen, wodurch diese Elemente zwar an Gewicht gewannen, der Anlass insgesamt jedoch seine ursprüngliche Kraft und Dynamik einbüsste. Auch die neuen Mittel der Kommunikation führten zu einer Veränderung im Charakter der Feste. Illustrierte Zeitschriften, Radio und schliesslich das Fernsehen schufen ein Kommunikationsnetz, das die Feste als Ort der Begegnung und der nationalen Selbstfindung ablöste.

Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten sich die eidgenössischen Feste einer sich wandelnden politischen Öffentlichkeit stellen. Männerfeste als lebende Bilder der Männerdemokratie erschienen immer fragwürdiger. Der Einbezug der Frauen bei den eidgenössischen Festen erfolgte schrittweise, parallel zu deren Partizipation an den politischen Rechten (Gleichstellung, Frauenstimmrecht). Waren bei den Schützenfesten schon 1910 Frauen zu den Wettbewerben zugelassen, so blieb ihnen die volle Teilnahme an den Turn- und Sängerfesten weiterhin versagt. 1972 wurden erstmals die turnerischen Leistungen der Frauen am Schweizerischen Frauenturntag bewertet und damit der Weg zur gemeinsamen gleichberechtigten Teilnahme geebnet. Ebenso lösten seit 1982 die Gesangsfeste die Sängerfeste ab. Die damals vollzogenen Fusionen der Männer- und Frauenverbände waren die logische Folge dieser Neuorientierung (Schweizerische Chorvereinigung 1978, Eidgenössischer Turnverband 1985).

Der Gedanke des eidgenössischen Fests wurde im 20. Jahrhundert von einer ganzen Reihe von Verbänden aufgenommen, die sich der Pflege der traditionellen Volkskultur widmen. Der Eidgenössische Jodlerverband (Jodel) führt seit 1924 eidgenössische Feste durch, die Schweizerische Trachtenvereinigung (Trachten) seit 1926. Der Verband der Schweizerischen Volksmusikfreunde (Volksmusik) veranstaltet seit 1971 Eidgenössische Ländlermusikfeste, ihm folgten der Eidgenössische Harmonika- und Akkordeon-Musikverband. Hier setzt sich jedoch der Trend zum grossen volkstümlichen Anlass durch. Nicht mehr die Zelebration des Bundesstaats steht im Zentrum, sondern die Darstellung der schweizerischen Volkskultur.

Quellen und Literatur

  • Schweizerischer Schützenverein: Gedenkschrift zum 100jährigen Jubiläum des Schweizerischen Schützenvereins, 1824-1924, 1924.
  • Thomann, Robert: Der eidgenössische Sängerverein, 1842-1942. Geschichte des Vereins und seiner Sängerfeste, als Denkschrift zum 100jährigen Bestehen im Auftrage des Zentralvorstandes verfasst und der Sängerschaft gewidmet, 1942.
  • Henzirohs, Beat: Die eidgenössischen Schützenfeste 1824-1849. Ihre Entwicklung und politische Bedeutung, 1976.
  • Eidgenössischer Turnverein (Hg.): 150 Jahre ETV, 1832-1982, 1981.
  • Eidgenössischer Jodlerverband (Hg.): 75 Jahre Eidgenössischer Jodlerverband, 1910-1985, 1985.
  • Eidgenössischer Musikverband: 125 Jahre Eidgenössischer Musikverband. Unsere Blasmusik in Geschichte und Gegenwart, 1862-1987, 1987.
  • Schader, Basil; Leimgruber, Walter (Hg.): Festgenossen. Über Wesen und Funktion eidgenössischer Verbandsfeste, 1993.
Weblinks

Zitiervorschlag

François de Capitani: "Eidgenössische Feste", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 15.01.2021. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/027280/2021-01-15/, konsultiert am 18.04.2025.