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Sachenrecht

Das Sachenrecht, das zum Privatrecht gehört, ist im Schweizerischen Zivilgesetzbuch (ZGB) als dessen 4. Teil festgehalten und behandelt das Eigentum (Grund-, Stockwerk- und Fahrniseigentum), die beschränkten dinglichen Rechte (Dienstbarkeiten und Grundlasten, Grund- und Fahrnispfand) sowie Besitz und Grundbuch. Es bildet zusammen mit dem Obligationenrecht (OR) das Vermögensrecht und ist wie dieses besonders in Systematik und Begrifflichkeit stark der vom römischen Recht geprägten Privatrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts verpflichtet. Die aus dem Sachenrecht ableitbaren Berechtigungen können als dingliche Rechte jedermann gegenüber geltend gemacht werden. Aus diesem Grund müssen sie einsehbar sein (Grundsatz der Publizität) und den vom Gesetz vorgegebenen Formen absolut entsprechen (Typengebundenheit und Numerus clausus). Das Sachenrecht bildet insbesondere in seiner Formalität eine dem Laien nur schwer zugängliche Ordnung.

Das mittelalterliche Sachenrecht, das auf deutsch-rechtlicher Grundlage beruhte, war demgegenüber anschaulich und vielgestaltig (Germanisches Recht). Im Vordergrund standen weder ein Vollrecht wie das Eigentum und dessen Abgrenzung von einer festgelegten Zahl beschränkter dinglicher Rechte noch eine begriffliche Unterscheidung zwischen Eigentum als Recht und Besitz als rechtlich geschützter faktischer Innehabung. Der Akzent wurde auf die tatsächlich praktizierte Sachnutzung gelegt. So bildeten nicht nur wie im heutigen schweizerischen Recht körperliche Einzelsachen Objekte von Sachenrechten, sondern alle Gegenstände, die eine sichtbare Rechtsausübung erlaubten.

Deshalb waren etwa Städte, Gerichte und andere Hoheitsrechte verpfändbar; an ein und derselben Sache konnten so viele verschiedenartige und im Rechtssinne gleichwertige Nutzungsrechte nebeneinander bestehen, wie es praktisch möglich war. Dem einen stand zum Beispiel die Holznutzung eines Waldes zu, während ein anderer das Recht besass, den Waldboden als Weide zu benutzen. Mannigfache Bindungen vor allem des liegenden Gutes an Familien, Genossen- und Körperschaften bzw. deren Mitglieder erhielten sich – begründet im alten Familiengut – zum Teil bis zum Ende des Ancien Regime; erinnert sei an das Zustimmungserfordernis von Familienangehörigen bei Verfügungen über liegendes Gut («Erbenlaub») wie an die überaus häufigen Zugrechte (Vorkaufsrechte).

Der Katalog denkbarer Sachenrechte wurde durch die Möglichkeit erweitert, Berechtigungen wie auch Pflichten derart mit Liegenschaften zu verknüpfen, dass der jeweilige Inhaber einer Liegenschaft als berechtigte oder verpflichtete Person sowie das Rechtsverhältnis als zeitlich unlimitiert festgesetzt wurden. In diese Richtung entwickelte sich auch die bäuerliche Leihe des Bodens, bei welcher vielfach persönlich geschuldete Gegenleistungen für die Überlassung des Bodens in Form von Zins und Zehnt und Fron zu Belastungen von Liegenschaften (Grundlasten) wurden. Als fortgeschrittenste Form erschien die frei begründbare und veräusserliche Bodenrente (Renten).

Gerade diese im deutschen Recht verankerten Formen haben in einer Jahrhunderte langen Entwicklung zu folgenträchtigen Umdeutungen im römisch-rechtlichen Sinne beigetragen. Bereits im Spätmittelalter war der Inhaber eines Leihegutes, das vererblich, veräusserlich und belastbar geworden war, der Hauptberechtigte, gewissermassen der Eigentümer, während der Empfänger der Gegenleistung nur noch als Inhaber eines nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ sehr viel bescheideneren beschränkten dinglichen Rechts galt, bei dessen Wegfall ein volles, unbeschränktes Eigentum hergestellt wurde. Diese Entwicklung zeichnete sich schon früh bei der städtischen Bodenleihe ab.

Die Aufhebung der Feudallasten, die sogenannte Bodenbefreiung, die im Gefolge der Französischen und Helvetischen Revolution stattfand, hat zwar das freie bäuerliche Grundeigentum nicht eigentlich geschaffen, hat es aber durch Aufhebung bzw. erzwungene Ablösung fast aller ewigen Lasten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vollständig durchgesetzt (Grundbesitz). Eine Rechtseinheit allerdings war damit noch nicht hergestellt, da die kantonalen Regelungen des Privatrechts sich an divergierende ausländische Kodifikationen und Lehren anschlossen. Die Rechtsgleichheit wurde erst 1912 durch Inkrafttreten des ZGB erreicht. Dessen Sachenrecht ist eine Synthese zwischen historisch Gewordenem und wissenschaftlicher Konstruktion. Als wesentliche Revisionen sind seither die Wiedereinführung des 1912 abgeschafften Stockwerkeigentums, die damit verbundene Neugestaltung jedes Miteigentums und die des Baurechtes zu verzeichnen, das 1965 in Kraft trat.

Quellen und Literatur

  • E. Huber, System und Gesch. des Schweiz. Privatrechts, 1886-93
  • E. Huber, Schweiz. Zivilgesetzbuch 2, 21914
  • H. Rey, Grundriss des schweiz. Sachenrechts 1, 22000
Weblinks

Zitiervorschlag

Claudio Soliva: "Sachenrecht", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 22.02.2011. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/027296/2011-02-22/, konsultiert am 08.10.2024.