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Tierversuche

Versuche an lebenden Tieren wurden bereits in der Antike durchgeführt, erlangten aber erst im 17. und 18. Jahrhundert grössere Bedeutung für Medizin und Biologie. Schweizer Ärzte und Naturforscher hatten daran massgeblichen Anteil. So führte der Schaffhauser Stadtarzt Johann Jakob Wepfer die Methodik der systematischen Arznei- und Giftprüfung am Tier ein. Grundlegend für das Verständnis der Lebensvorgänge waren Albrecht von Hallers (1708-1777) Experimente zur Empfindlichkeit und Reizbarkeit der Körperteile. Einsichten in das Regenerationsvermögen niederer Tiere lieferten die Genfer Gelehrten Abraham Trembley und Charles Bonnet. Im 19. Jahrhundert wurde die experimentelle Physiologie an schweizerischen Universitäten institutionalisiert. Herausragend waren die Versuche zur Schilddrüsentransplantation des 1876 nach Genf berufenen Professor Moritz Schiff. Wie schon Ende der 1830er Jahre der Physiologe Gabriel Gustav Valentin in Bern, sah sich Schiff wegen seiner Experimente öffentlicher moralischer Kritik ausgesetzt, obwohl er für die seit Mitte des 19. Jahrhunderts verfügbare Anästhesie der Versuchstiere eintrat. Um 1880 formierte sich nach englischem Vorbild eine vereinsmässig organisierte Antivivisektionsbewegung, die jedoch politisch weitgehend erfolglos blieb.

Im 20. Jahrhundert wurden Tierversuche zur essentiellen Methode in der Entwicklung neuer medikamentöser und chirurgischen Behandlungsverfahren (Chemische Industrie). Gleichzeitig kam es vorerst im kantonalen Rahmen zu ersten politischen Vorstössen für eine Einschränkung der Tierversuche und eine allgemeine rechtliche Verankerung des Tierschutzes. Volksinitiativen mit dem Ziel eines Vivisektionsverbots scheiterten 1895 und 1924 in Zürich, 1903 in Bern, 1939 in Basel-Stadt. Mit der 1973 angenommenen Änderung des Artikels 25bis der Bundesverfassung (Artikel 80 der BV 1999) wurde die Gesetzgebung über den Tierschutz Sache des Bundes. Das darauf gestützte Tierschutzgesetz von 1978 (1991 revidiert) und die entsprechende Verordnung von 1981 unterstellen schmerzhafte wissenschaftliche Versuche an Wirbeltieren einer Bewilligungspflicht und schränken sie auf ein «unerlässliches Mass» ein. Die Prüfung der Gesuche und Erteilung der Bewilligung hat durch kantonale Aufsichtskommissionen zu erfolgen. Von Tierschutzkreisen lancierte Initiativen zur Änderung der Bundesverfassung und zur «Abschaffung» bzw. «drastischen und schrittweisen Einschränkung» der Tierversuche wurden 1985 bzw. 1992 abgelehnt.

Quellen und Literatur

  • H. Bruhin, J. Gelzer, «Tierschutz und wissenschaftl. Tierversuche in öffentl. Debatte», in Swiss Pharma 7, 1985, 7-15
  • J.J. Dreifuss, «Moritz Schiff et la vivisection», in Gesnerus 42, 1985, 289-303
  • Vivisection in Historical Perspective, hg. von N.A. Rupke, 1987 (21990)
  • A.-H. Maehle, Johann Jakob Wepfer (1620-1695) als Toxikologe, 1987
  • R. Neff, Der Streit um den wissenschaftl. Tierversuche in der Schweiz des 19. Jh., 1989
  • Sind Tierversuche vertretbar?, hg. von C.A. Reinhardt, 1990
  • A.-H. Maehle, Kritik und Verteidigung des Tierversuchs, 1992
Weblinks

Zitiervorschlag

Andreas-Holger Maehle: "Tierversuche", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 12.10.2012. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/027815/2012-10-12/, konsultiert am 15.03.2025.