Als Ackerbau wird die Produktion von Kulturpflanzen bezeichnet, bei welcher der Boden umgebrochen wird. Nach der Verwendung der Ackergeräte unterscheidet man zwischen Grabstockbau, Hackbau (Hacke) und Pflugbau (Pflug). Der Ackerbau umfasst neben dem Getreidebau auch den Anbau von Hülsenfrüchten, Hackfrüchten wie Zuckerrüben (Zucker) oder Kartoffeln, bestimmten Gewerbepflanzen, Kunstgräsern (Futtermittel) und Tabak.
Vom Neolithikum bis zur Römerzeit
Die Geschichte des Ackerbaus beginnt mit dem Übergang von der aneignenden zur produzierenden Wirtschaftsweise (Landwirtschaft), welche in prähistorischer Zeit die Jagd- und Sammelwirtschaft weitgehend ablöste. Der Übergang erfolgte im Nahen Osten (»Fruchtbarer Halbmond») in der ausgehenden Würm-Eiszeit (ca. 10000-8000 v.Chr.). Der Ackerbau erreichte das Gebiet der Schweiz zwischen 6000 und 5000 v.Chr. (Neolithikum). Die ältesten bekannten Fundstellen (verkohlte Getreidekörner, Keramik) liegen in Bellinzona (Castel Grande), Graubünden (Zizers) und Sitten (v.a. Place de la Planta, Chemin des Collines, Avenue Ritz). Im Norden (Bottmingen, Gächlingen) tritt auf Lössböden die Bandkeramikkultur in Erscheinung (Pollendiagramme aus dieser Zeit weisen auf Ackerbau hin). Das Gebiet der Schweiz wurde ab dem 5. Jahrtausend v.Chr. dichter durch Ackerbau treibende Bevölkerungsgruppen besiedelt. Wichtig sind vor allem ab ca. 4300 v.Chr. die Seeufer- und Moorsiedlungen an den Alpenrandseen (seit 2011 Unesco-Weltkulturerbe). Bereits im Neolithikum wurden mehrere Getreidearten (Nacktweizen, Emmer, Gerste, seltener Einkorn) sowie Lein, Schlafmohn und Hülsenfrüchte angebaut. Auch Fruchtfolgen (Nacktweizen-Gerste) konnten nachgewiesen werden.
Von der frühen Bronzezeit an stiess der Ackerbau in den Alpen in höhere Lagen vor. In zunehmendem Masse wurde Dinkel angebaut, von der späten Bronzezeit an nahm die Bedeutung der Hülsenfrüchte zu und an neuen Getreiden traten Rispen- und Kolbenhirse in Erscheinung (Zürich-Mozartstrasse, Zug-Sumpf, Hauterive-Champréveyres). Erstmals zeichnete sich eine Teilung der Kulturlandschaft in weiter weg gelegene, extensiv bewirtschaftete Getreidefelder und dorfnah gelegene, gartenartig bebaute Flächen ab. Gegen Ende der Eisenzeit kam der Anbau von Hafer auf (Basel-Gasfabrik). Eindeutige Belege für Kultur-Roggen gibt es erst seit der Römerzeit. In dieser Epoche wurden in der Schweiz Saat- und seltener Rauhweizen, Dinkel und weniger häufig auch Emmer angebaut. Einkorn wird regelmässig, aber nie in grösseren Mengen gefunden. Roggen und Hafer gewannen an Bedeutung, Gerste blieb wichtig. An Hülsenfrüchten finden sich Ackerbohne, Linse und Erbse. Neu wurden Gemüse (z.B. Knoblauchzehen als Grabbeigabe in Augusta Raurica), Obst (Weintrauben, Pfirsiche, Aprikosen) und Nüsse (belegt sind Walnüsse) kultiviert. Wichtige archäobotanisch untersuchte Fundstellen aus der römischen Zeit sind Augusta Raurica, Vindonissa, Oberwinterthur, Neftenbach-Steinmöri und Biberist-Spitalhof.
Mittelalter und Frühneuzeit
Obwohl Ackerbau im Frühmittelalter bis in hohe Lagen verbreitet war ― im südlichen und inneren Alpenraum zum Teil bis auf 2000 m ―, darf die Bedeutung dieses extensiv betriebenen, auf die Sicherung der Subsistenz ausgerichteten Wirtschaftszweigs im Vergleich zur Viehwirtschaft nicht überschätzt werden. Bedeutung gewann der Ackerbau vor allem vom 11. Jahrhundert an, als im Zuge der Bevölkerungsentwicklung im Mittelland in grossem Umfang neue Anbauflächen erschlossen (Landesausbau) und der Ertragsfaktor durch technologische Verbesserungen (z.B. Einführung des Beetpfluges) oder den Einsatz ertragreicherer Bodennutzungssysteme wie der Dreizelgenbrachwirtschaft (Zelgensysteme) anstelle der bis dahin verbreiteten einfachen Feldgraswirtschaft gesteigert wurde.
Als Wintergetreide überwog im niederschlagsreichen deutschschweizerischen Mittelland der Dinkel, in der etwas trockeneren Westschweiz der Weizen. Roggen wurde in allen Gebieten zuweilen dem Dinkel bzw. Weizen beigemischt (sogenanntes Mischkorn) und überwog in höheren milden und niederschlagsarmen Landschaften (Wallis, Mittelbünden). Als Sommergetreide waren Hafer in tieferen Lagen, Gerste aufgrund ihrer kurzen Reifezeit in höheren Gebieten verbreitet. Im alpinen Raum wurde Ackerbau vorwiegend gartenbaumässig in Sonderfluren in einer drei- oder zweijährigen Fruchtfolge (Dinkel-Hafer/Gerste-Brache bzw. Hafer/Gerste-Brache) betrieben, mehrheitlich in Wechselwirtschaft, im Wallis, Tessin und in Südbünden auch im Dauerfeldbau, d.h. der Nutzung immer derselben Parzellen (Roggen-Gerste) bei intensiver Düngung. Kollektiv geregelte Fruchtfolgen (z.T. im Unterengadin) waren die Ausnahme.
Entscheidend für die weitere Entwicklung waren die vom 13. Jahrhundert an wichtiger werdenden städtischen Märkte sowie die vom Spätmittelalter an zunehmende Ausrichtung des Voralpen- und Alpenraums auf die Vieh- und Milchwirtschaft, wodurch sich der Ackerbau im Mittelland von einem subsistenz- zu einem marktorientierten Wirtschaftszweig wandelte (Agrarmarkt). Auf die Bedürfnisse städtischer Bürger ausgerichtet waren auch die in unmittelbarer Umgebung spätmittelalterlicher Städte angelegten intensiven Sonderkulturgürtel, in denen Wein, Gemüse, Obst, Textil- und Färbepflanzen usw. produziert wurden. Im ausgehenden Spätmittelalter und dann vor allem in der frühen Neuzeit wurden insbesondere in Krisenjahren oft die kollektiv genutzte Allmend oder brachliegende Felder unter den Pflug genommen und beispielsweise mit Hafer, Gerste oder Ackerbohnen bebaut.
18. bis 20. Jahrhundert
Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts blieben die im Ackerbau verwendeten Getreidesorten in der Hauptsache die gleichen. Als Zwischensaaten wurden in kleinen Mengen vor allem Erbsen, Bohnen, Linsen, Hirse und Hühnerhirse angebaut, die sogenannte Schmalsaat. Eine verbreitete Nachfrucht war auch die weisse Rübe (Räbe). In den voralpinen Gebieten der Zentral- und Westschweiz setzte sich etwa von 1730 an die Kartoffel als Ackerfrucht durch, ab 1770 auch im Ackerland der West- und Zentralschweiz, erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts im Osten (erste Agrarrevolution). Der Mais hielt in der gleichen Zeit seinen Einzug im Südtessin und im St. Galler Rheintal. Ackerbau wurde weiterhin in allen Agrarzonen der Schweiz betrieben, sowohl im eigentlichen «Kornland» ― d.h. in den Dreizelgengebieten des Mittellandes, in den tieferen Lagen des Juras sowie im Südtessin ― als auch in den vor- und inneralpinen Gebieten bis in Höhenlagen von 1000 m und mehr. In den Kornanbaugebieten dominierte bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts der Fruchtwechsel in Zelgensystemen, im alpinen Gebiet häufig der Dauerfeldbau.
Der Umfang der genutzten Ackerfläche veränderte sich in der frühen Neuzeit erheblich. Einerseits schrumpfte er durch die Ausweitung des Gartenbaus, andererseits dehnte er sich auf Kosten der Wälder und Weiden aus. Eingezäunte Sonderparzellen wurden teils für ackerbauartige Spezialkulturen (Rübenarten, Kartoffeln, Textilpflanzen), teils aber auch für Grasbau (Wiesen) genutzt. Gegen Ende des Ancien Régime dürfte im «Kornland» pro Kopf der Bevölkerung weniger Ackerfläche genutzt worden sein als zu Beginn der Neuzeit. Diese wurde aber intensiver kultiviert, da sie besser gedüngt war und der Boden durch die Besömmerung der Brache stärker zur Produktion herangezogen wurde.
Die Helvetische Revolution setzte wesentliche Veränderungen im Ackerbau in Gang. Durch die Aufhebung bzw. Ablösbarkeit der Zehnten und Bodenzinsen wurden die Rahmenbedingungen der Agrikultur verändert. Die Bauern wurden in der Produktion freier; sie konnten anbauen, was den Bedürfnissen des Marktes entsprach und was zu den lokalen klimatischen Bedingungen und Böden passte. Damit zerfielen auch die Zelgensysteme und mit ihnen der Flurzwang. In der neuen Situation gingen zuerst die Bauernbetriebe in den höheren Lagen zur reinen Viehwirtschaft über; aus der voralpinen Zone rückten Viehzucht und Milchwirtschaft gegen das Mittelland vor und verdrängten viele höher gelegene Getreideäcker. Mit dem Anbruch des Eisenbahnzeitalters sanken die Transportkosten, die den schweizerischen Getreidebau bisher vor dem Weltmarkt abgeschirmt hatten; der traditionelle Ackerbau geriet dadurch in eine hoffnungslose Konkurrenzsituation. Viele Ackerbauern stellten nach der Mitte des 19. Jahrhunderts ― unwillig ― auf Viehzucht und Milchwirtschaft um.
An der Schwelle zum 20. Jahrhundert sah es aus, als sei insbesondere der Getreidebau in der Schweiz dem Untergang geweiht. 1905 waren von insgesamt 1'059'930 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche noch 255'180 ha Ackerland, davon 134'220 ha Getreidefläche. Der Erste Weltkrieg mit seinen stockenden Importen brachte eine Wende; man versuchte, den Acker- und vor allem den Getreidebau durch staatliche Massnahmen wie das Einfuhrmonopol und den Preisschutz des Bundes für Getreide wieder anzukurbeln (Agrarpolitik). Das Getreidegesetz von 1959 (Abnahme- und Preisgarantie) bestimmte bis 2000 ― zusammen mit dem Sachplan Fruchtfolgeflächen (1992), der für die Kantone Mindestflächen an offenem Ackerland vorschreibt ― den Ackerbau in der Schweiz.
Offenes Ackerland: Anbau ausgewählter Kulturarten 1917-1996a
Jahr | Offenes Ackerland | Getreide | Kartoffeln | Zuckerrüben | Raps | Silomais | Tabak |
---|---|---|---|---|---|---|---|
1917 | 191 668 | 117 338 | 51 620 | 407 | 255 | - | 225 |
1939 | 209 301 | 136 906 | 47 321 | 3 207 | 41b | - | 770 |
1945 | 355 249 | 216 506 | 83 575 | 5 559 | 8 514 | - | 1 272 |
1955 | 259 820 | 170 440 | 50 997 | 5 520 | 3 249 | 2 968 | 989 |
1965 | 248 901 | 173 683 | 37 203 | 8 372 | 6 651 | 5 226 | 686 |
1975 | 262 530 | 177 803 | 23 811 | 10 641 | 9 283 | 27 119 | 713 |
1985 | 287 049 | 183 918 | 20 063 | 14 247 | 14 532 | 42 218 | 723 |
1996 | 308 924 | 196 438 | 16 666 | 16 045 | 13 998 | 43 352 | 734 |
a Fläche in ha
b mit Mohn
Die grösste Ausdehnung erreichte das offene Ackerland um 1945 (352'879 ha), als Folge der Anbauschlacht zur Zeit des Zweiten Weltkriegs. Danach nahm es deutlich ab, wuchs ab den 1970er Jahren wieder und erreichte 1990 mit 316'189 ha einen zweiten Höhepunkt, bevor es wieder zurückging (2010 271'968 ha, 26% der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche, wobei der Getreideanteil gut die Hälfte ausmachte). Die Ertragssteigerungen im Ackerbau (1910-1990: ungefähre Verfünffachung der Getreideernte) beruhen in erster Linie auf den infolge des technisch-biologischen Fortschritts (zweite und dritte Agrarrevolution) gestiegenen Flächenerträgen.
Quellen und Literatur
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