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Abzugsrecht

Bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts verfügte nur ein kleiner Teil der Bevölkerung über vollständige Freizügigkeit, d.h. über das uneingeschränkte Recht, vom Wohnsitz wegzuziehen (ius detractus). Im Früh- und Hochmittelalter stand dies lediglich Freien zu, während Hörige in einer Grundherrschaft an die Scholle gebunden waren. Im Zuge der Umwandlung der Grundherrschaft ab dem 12. Jahrhundert, der damit verbundenen Lockerung der Schollenbindung zugunsten einer intensivierten persönlichen Bindung (spätmittelalterliche Leibeigenschaft) und infolge der Anziehungskraft, welche die neue Lebensform "Stadt" vom 12. Jahrhundert an auf persönlich Abhängige ausübte, veränderte sich das Abzugsrecht von Grund auf. Mit der Krise des Spätmittelalters setzte um die Mitte des 14. Jahrhunderts eine Landflucht (Binnenwanderung) ein, der die (z.T. dadurch) unter Druck geratenen Grund- und Leibherren nur wenig entgegenzusetzen hatten. Im Gegensatz etwa zum süddeutschen Baden oder Württemberg, wo die Herrschaft auf die Migration mit Massenvereidigungen ihrer Untertanen reagierte, wurde das Abzugsrecht im Gebiet der heutigen Schweiz vielerorts gelockert. So erhielten zum Beispiel die Hofgenossen von Malters Mitte des 14. Jahrhunderts das Recht auf freien Zug, ebenso die St. Galler Gotteshausleute, die jedoch bis zum allfälligen Loskauf Eigenleute blieben. Bis ins 16. Jahrhundert hatte sich das Abzugsrecht auf eine Abgabepflicht reduziert, in der Regel 5-10% des abziehenden Vermögens. Im Verlauf des 16. und 17. Jahrhunderts gewährten sich verschiedene eidgenössische Orte im Rahmen von Abkommen gegenseitige Freizügigkeit. Allerdings blieb der Abzug zwischen den katholischen und den reformierten Orten bis ins 17. Jahrhundert stark erschwert. Das Ende aller Abzugsbeschränkungen in der Schweiz brachte 1798 die Helvetische Revolution (Niederlassungsfreiheit). Gegenüber dem Ausland wurden sie in bilateralen Verträgen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts aufgehoben.

Quellen und Literatur

  • K. Hauser, «Über den Abzug in der Schweiz», in JSG 34, 1909, 1-163
  • K.-H. Spiess, «Zur Landflucht im MA», in Die Grundherrschaft im späten MA 1, hg. von H. Patze, 1983, 164-198
  • LexMA 4, 907 f.
  • P. Blickle, «Friede und Verfassung», in Innerschweiz und frühe Eidgenossenschaft 1, 1990, 182-184
Weblinks

Zitiervorschlag

Martin Leonhard: "Abzugsrecht", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 23.02.2001. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/027897/2001-02-23/, konsultiert am 10.12.2024.