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Übersetzungen

Übersetzung ist eine zugleich verstehende und gestaltende Form der Erfahrung von Werken in einer anderen Sprache (Friedmar Apel/Annette Kopetzki). Übersetzungen spielen eine zentrale Rolle bei der Kulturvermittlung, weshalb ihnen in den verschiedenen Sprach- und Kulturgebieten der Schweiz schon früh eine grosse Bedeutung zukam.

Erste Übersetzungen entstanden um 800 n.Chr. im Kloster St. Gallen, so die althochdeutsche Interlinearversion der Benediktregel. Ab dem späten 12. Jahrhundert wurden unter anderem die Artusromane für einen kleinen Kreis hochadliger Rezipienten aus dem Französischen ins Deutsche übertragen. Mit der Erfindung des Buchdrucks stieg auch die Zahl der Übersetzungen. Bis Ende des 16. Jahrhunderts wurden in allen Sprachgebieten der Schweiz vor allem Übersetzungen mit religiösem und philosophischem Inhalt aus den Sprachen Latein, Griechisch und Hebräisch publiziert. Zentren waren die Buchdruckerstädte Basel und Genf, in deren Offizinen neben Übersetzungen auch altsprachliche Wörterbücher erschienen. In der Reformationszeit wuchs auch der Bedarf an Übersetzungen geistlicher Literatur nicht nur für Gelehrte. Davon zeugen etwa die Bibelausgaben in Genf und Zürich, aber auch Ulrich Campells rätoromanische Übersetzung der Psalmen und geistlichen Lieder von 1562, die das Vallader als Schriftsprache bestätigte (Rätoromanisch). Im 17. Jahrhundert wurden auch Texte aus den Bereichen Natur- und Geisteswissenschaften übertragen, und zu den Ausgangssprachen der Antike kamen die Sprachen Deutsch, Französisch und Italienisch hinzu, später auch das Englische. Während die Übersetzungen ins Rätoromanische und Italienische in der Schweiz zahlenmässig bis in die Gegenwart gering blieben, nahm die Zahl der in der Schweiz publizierten Übersetzungen ins Deutsche und Französische im 18. Jahrhundert in allen Bereichen, vor allem aber in der Belletristik, zu.

Titelseite der deutsch-französischen Ausgabe von Albrecht von Hallers Gedicht Die Alpen mit zwei von Balthasar Anton Dunker geschaffenen Radierungen bzw. Vignetten von 1786 (Schweizerische Nationalbibliothek).
Titelseite der deutsch-französischen Ausgabe von Albrecht von Hallers Gedicht Die Alpen mit zwei von Balthasar Anton Dunker geschaffenen Radierungen bzw. Vignetten von 1786 (Schweizerische Nationalbibliothek). […]

In der Aufklärung wurde die Schweiz mit ihren polyglotten Intellektuellen wie Beat Ludwig von Muralt oder Karl Viktor von Bonstetten zu einem wichtigen Zentrum des Kulturaustauschs und der Übersetzungstätigkeit. So übertrugen etwa Johann Jakob Bodmer und Johann Jakob Breitinger neben Klassikern aus dem Griechischen auch Werke John Miltons ins Deutsche. Daneben profilierten sich die beiden Zürcher auch als Übersetzungstheoretiker. Während in der deutschsprachigen Schweiz im 18. Jahrhundert vermehrt Texte aus den zeitgenössischen Rechts-, Geschichts- und Naturwissenschaften übertragen wurden, intensivierte die französischsprachige Schweiz den Austausch mit dem zeitgenössischen deutschsprachigen Literatur- und Kulturraum: Vinzenz Bernhard Tscharner, Gabriel Seigneux de Correvon und Auguste Tissot übersetzten zum Beispiel die Werke Albrecht von Hallers. Hans Caspar Hirzels Buch "Die Wirthschaft eines philosophischen Bauers" wurde in der französischsprachigen Übersetzung von Jean Rodolphe Frey des Landres unter dem Titel "Le socrate rustique" (1762) ein europäischer Bestseller.

Im 19. Jahrhundert wuchs die Zahl der in der Schweiz publizierten Übersetzungen in allen Sprachgebieten weiter an, vor allem in der französischen Schweiz. Dazu trugen sicherlich die territoriale und die in der Bundesverfassung von 1848 verankerte institutionelle Mehrsprachigkeit der Schweiz bei, die zum Beispiel die integrale Übersetzung des 13-bändigen "Historischen Lexikons der Schweiz" (2002-2014) in drei Landessprachen ermöglichte. Im Bundesstaat mit drei sowie den drei Kantonen Bern, Freiburg und Wallis mit zwei und Graubünden mit drei Amtssprachen wuchs der Bedarf an Übersetzungen im rechtlichen und administrativen Bereich, der im 20. Jahrhundert zunehmend von Übersetzerdiensten des Bundes und der Kantone gedeckt wurde. Neben den Übersetzungen in den herkömmlichen Gebieten der Religion, Philosophie und Geschichte gewannen ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch Werke aus der Unterhaltungs- sowie der Kinder- und Jugendliteratur an Bedeutung. So wurde ab 1882 Johanna Spyris "Heidi" mehrfach ins Französische übersetzt und in Charles Trittens französischer Bearbeitung von 1939 sogar fortgeführt. Im Zuge des Helvetismus in der französischen und italienischen Schweiz um die Wende zum 20. Jahrhundert und der geistigen Landesverteidigung ab 1930 in der deutschen Schweiz wurden ausgewählte Autoren wie Jeremias Gotthelf und Charles Ferdinand Ramuz in grossangelegten Editionsprojekten als Identifikationsfiguren des schweizerischen Geistes übersetzt. Projekte mehrsprachiger Kulturzeitschriften wie die "Neue Schweizer Rundschau: Nouvelle Revue Suisse" scheiterten. Auch die Monatsschrift "Bibliothèque universelle" mit ihren zahlreichen Übersetzungen aus dem Deutschen, Italienischen, Russischen und Englischen stellte ihr Erscheinen 1930 ein.

Bis über die Mitte des 20. Jahrhunderts hinaus blieben die Zahlen der in der Schweiz publizierten Übersetzungen weitgehend stabil. Dabei fielen die Übersetzungen aus dem und in das Rätoromanische kaum ins Gewicht, nicht nur wegen der geringen Anzahl der Rätoromanen und ihrer individuellen Mehrsprachigkeit, sondern auch wegen des Fehlens einer anerkannten rätoromanischen Schriftsprache und deren erst 1938 erfolgten Aufnahme in den Kreis der Landessprachen. 1960-1990 stieg die Zahl der in der Schweiz publizierten Übersetzungen stark an: So wurden zum Beispiel in der französischen Schweiz 1970 fünfmal mehr Übersetzungen als 1950 publiziert. Seit Mitte der 1990er Jahre stagniert die Publikation von Übersetzungen. Ihr Anteil an der Gesamtbuchproduktion beträgt seit Anfang des 21. Jahrhunderts rund 10%, im Bereich der Belletristik 20%. Der Aufschwung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ging allerdings nicht allein auf einzelne Vorbilder in den verschiedenen Sprachregionen, die Entwicklung des internationalen Buchmarkts und die Bedeutung der literarischen Zeitschriften und des Feuilletons zurück, sondern ebenso auf das Wirken der Pro Helvetia, die das Übersetzen in der Schweiz im Sinne eines Kulturaustauschs zwischen den Sprachregionen und mit dem Ausland fördert, sowie der ch-Stiftung für eidgenössische Zusammenarbeit, die seit 1974 mit der Unterstützung der ch-Reihe die Publikation von über 200 Titeln in alle vier Landessprachen ermöglichte. Dazu kam als eines der ersten Übersetzer- und Dolmetscherinstitute der Welt 1941 die Gründung der Ecole de Traduction et d'Interprétation in Genf und 1967 der Dolmetscherschule Zürich, die seit 2000 als Institut für Übersetzen und Dolmetschen zur Zürcher Hochschule Winterthur (seit 2007 Zürcher Hochschule der angewandten Wissenschaften) gehört. 1989 entstand an der Universität Lausanne das Centre de Traduction Littéraire, das mit Vorträgen, Kolloquien, Publikationen und Forschungsprojekten eine Verbindung zwischen Praxis und Theorie des literarischen Übersetzens schafft. Mit der Gründung des Übersetzerhauses Looren im Zürcher Oberland von 2005, dem Festival di letteratura e traduzione Babel in Bellinzona seit 2006 und der Eröffnung des ersten Ausbildungsgangs für literarische Übersetzer 2010 am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel ist ein eigentliches Übersetzungsnetzwerk in der Schweiz entstanden.

Quellen und Literatur

  • B. Tscharner, Bibl. zur Übersetzung schweiz. Literatur, 1991
  • A. Vacek, Approche historique de la traduction littéraire en Suisse, 1995
Weblinks

Zitiervorschlag

Irene Weber Henking: "Übersetzungen", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 05.11.2013. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/030728/2013-11-05/, konsultiert am 29.03.2024.