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Reichsacht

Eine besondere Form der Acht war die im Namen von König bzw. Kaiser und Reich ausgesprochene Reichsacht, deren Geltung sich auf das ganze Reichsgebiet erstreckte.

Verhängung und rechtliche Folgen

Die Reichsacht war ein prozessuales Zwangsmittel, um Beklagte bei schweren strafrechtlichen Delikten und zivilen Schuldklagen zum Erscheinen und zur Einlassung vor Gericht zu nötigen. Nach der erfolglosen dritten Ladung verhängten das Königliche Hofgericht bzw. das 1451 an dessen Stelle getretene Kammergericht (Reichsgerichte) als Urteil die Reichsacht, die auf die Bitte des Gerichts hin von dem dazu allein berechtigten König verkündet wurde. Vorläufigen Charakter hatte die Reichsacht insofern, als der spätere Vergleich mit dem Kläger oder eine nachträgliche gerichtliche Einlassung eine dem König vorbehaltene Achtlösung gegen Zahlung des sogenannten Achtschatzes oder Achtschillings ermöglichten. Verharrte der Geächtete in der Reichsacht, so wurde nach Jahr und Tag die gleichfalls nicht unlösliche Aberacht verhängt. Die Geächteten wurden in Achtbüchern verzeichnet, von denen Exemplare aus den Regierungszeiten der Könige Sigismund und Friedrich III. erhalten sind. Im Interesse ihres Handelsverkehrs und wohl auch aus Furcht vor Repressalien geächteter Adliger waren insbesondere Städte im Spätmittelalter darum bemüht, beim König sogenannte Ächterprivilegien zu erwirken, die ihnen trotz des Verbots den Verkehr mit Geächteten erlaubten.

Nach der Constitutio contra incendiarios von 1186 wurden Landfriedensdelikte oder Landfriedensbruch (Landfrieden) mit der ipso jure eintretenden und vom König noch zu verkündenden Reichsacht bedroht. Die Confoederatio cum principibus ecclesiasticis von 1220 verpflichtete den König reichsrechtlich, dem Kirchenbann (Exkommunikation) nach sechs Wochen die Reichsacht folgen zu lassen.

Grössere politische Bedeutung erlangte die Reichsacht im Spätmittelalter auch im Zusammenhang mit dem Straftatbestand der Majestätsbeleidigung. Sie war nicht auf die völlige Vernichtung des Geächteten angelegt, ermöglichte es aber, von Rechts wegen gegen Betroffene gewaltsam vorzugehen. Der mit der Reichsacht ausgesprochene Verlust allen Eigens, der Lehen und Privilegien gab dem König die Gelegenheit, für die Restitution einen Preis zu fordern. Angesichts fehlender unmittelbarer militärischer Zwangsmittel des Königs zielten Reichsreformbestrebungen des 15. Jahrhunderts auf eine Effektuierung der Reichsacht Als Rechtsfigur erlosch sie 1806 mit dem Ende des alten Reichs.

Auswirkungen auf die Eidgenossenschaft

Die Reichsacht hat die spätmittelalterliche Eidgenossenschaft im Grossen wie im Kleinen mitgestaltet. Im Vorfeld zum Morgartenkrieg von 1315 und zum Schwabenkrieg von 1499 gerieten die eidgenössischen Orte von Reichs wegen in die Acht, vermochten sie aber abzuwenden. Nur Aufforderungen zum Reichskrieg erfolgten 1427 stellvertretend durch die Kurfürsten gegen Appenzell und 1444 durch König Friedrich III. gegen die Schwyzer und ihre Eidgenossen. Beschwerlicher als Massnahmen des Königs konnten Acht-Urteile sein, die Einzelkläger an den Hofgerichten in Rottweil oder Nürnberg erwirkten. So brachte Hans Gruber, Walliser Landmann und Bürger von Bern, durch hartnäckige Klagen sämtliche Orte in die Acht und fand in der Person des süddeutschen «Herzogs» Reinhold von Urslingen einen Partner, der mit dem Urteil als Fehdekonzession die eidgenössischen Orte 1410-1430 dosiert, aber systematisch bekriegte. Ähnlich war es mit dem Appenzeller Landmann Ulrich Himmeli, der sein Fehderecht dem berüchtigten Hans von Rechberg überliess. Dieser spielte im Alten Zürichkrieg – bald als Helfer Österreichs, bald als Fehdeführer in Himmelis Auftrag – eine entscheidende Rolle.

Gross war der Gewinn, der sich für die Eidgenossen aus Ächtungen Dritter ergab. 1415 gebot König Sigismund wegen Majestätsbeleidigung durch Friedrich IV. von Habsburg, Herzog von Österreich, auch den eidgenössischen Orten, die Gebiete des Herzogs zuhanden des Reichs zu erobern, wobei er das Wort Acht geflissentlich vermied. Die Orte nahmen die Chance wahr und vermochten den von ihnen besetzten habsburgischen Aargau schliesslich für sich zu behaupten. In ähnlicher Weise wurde 1460 der Bann gegen Sigismund von Habsburg, Herzog von Österreich, und 1474 der gegen Herzog Karl den Kühnen von Burgund erklärte Reichskrieg zum Vorwand für Aktionen genommen, die völlig im eidgenössischen Interesse lagen (Eroberung des Thurgaus bzw. Burgunderkriege). Vom 16. Jahrhundert an hatte die Reichsacht in der Eidgenossenschaft keine Wirkung mehr und nach dem Westfälischen Frieden von 1648 für sie auch keine Geltung mehr.

Quellen und Literatur

  • J.F. Battenberg, Reichsacht und Anleite im SpätMA, 1986
  • HRG 4, 523-529
  • LexMA 7, 616
  • A. Widmer, Daz ein bůb die eidgenossen angreif, 1995
  • B. Stettler, Die Eidgenossenschaft im 15. Jh., 2004
  • T. Marolf, "Er was allenthalb im spil": Hans von Rechberg, das Fehdeunternehmertum und der Alte Zürichkrieg, 2006
Weblinks

Zitiervorschlag

Eberhard Isenmann; Bernhard Stettler: "Reichsacht", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 08.11.2011. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/040808/2011-11-08/, konsultiert am 18.04.2024.