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Warschauer Pakt

Am 14. Mai 1955 schloss in Warschau die Mehrheit der kommunistischen Ostblockstaaten mit der Sowjetunion auf deren Initiative hin einen Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand. Der Warschauer Pakt stellte eine Reaktion auf die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland und deren Einbindung in die Nato vom 5. Mai desselben Jahres dar.

Im Zeichen des Ost-West-Konflikts

Der Warschauer Pakt bzw. die Armeen der Mitgliedstaaten Albanien (bis 1968), Bulgarien, Ungarn, Polen, Deutsche Demokratische Republik, Rumänien, Tschechoslowakei und Sowjetunion standen unter sowjetischem Militärkommando. Als 1956 Ungarn austreten wollte, marschierte dort die sowjetische Armee ein. 1968 schlugen Truppen des Warschauer Pakts (mit Ausnahme Rumäniens) in der Tschechoslowakei den Prager Frühling nieder. Die Schweiz reagierte auf die Militärinterventionen mit der Aufnahme von jeweils 12'000 ungarischen und tschechoslowakischen Flüchtlingen. Die Auflösung des Warschauer Pakts 1991 unter dem sowjetischen Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow fiel mit dem Ende des Kalten Kriegs zusammen.

Gegenüber Westeuropa nahm der Warschauer Pakts eine defensive Haltung ein, allerdings mit einer offensiven Strategie im Fall eines Erstschlags der Nato. Obwohl die Schweiz Bestandteil der kapitalistischen Welt war und in der Schweizer Öffentlichkeit ein starker Antikommunismus vorherrschte, beurteilten die Entscheidungsträger des Warschauer Pakts die bewaffnete Neutralität der Schweiz positiv. Sie sahen in ihr bei einem allfälligen Angriff der Nato einen strategischen Vorteil. Zudem diente die Schweiz als Drehscheibe der Nachrichtendienste. Zwar lösten Ereignisse in der Schweiz wie die Bejahung der atomaren Bewaffnung (Atomwaffen) durch den Bundesrat 1958 in Moskau immer wieder harsche Proteste aus, an der grundsätzlich positiven Einschätzung änderte sich jedoch wenig. Seitens des Warschauer Pakts existierten keine Operationspläne gegen die Schweiz. Dies zeigten Archivrecherchen nach 1991. Vielmehr wäre sie im Fall einer Gegenoffensive gegen die Nato umgangen worden.

Wahrnehmung des Pakts in der Schweiz

Die Schweizer Armeeführung sah im Warschauer Pakts den wahrscheinlichsten und gefährlichsten militärischen Gegner (Armee). Sie hielt ihn für fähig, aus dem Stand heraus einen Angriffskrieg mit allen Mitteln zu führen. Deshalb richtete sie die gesamte Verteidigung auf den Warschauer Pakt aus. Dabei ging die Armeeführung von folgendem operativ-taktischen Szenario aus: Nach Fällen der indirekten Kriegführung, Subversion und Sabotage in Mitteleuropa käme es zum bewaffneten Zusammenstoss der beiden Blöcke. Der Hauptangriff des Warschauer Pakts auf der Achse Moskau-Warschau-Berlin-Paris wäre von Nebenstössen aus der Tschechoslowakei oder aus Ungarn in den süddeutschen Raum oder nach Oberitalien begleitet, wobei die Respektierung der Neutralität Österreichs fraglich bliebe. Die Schweiz wäre trotz ihrer wahrscheinlichen Umgehung betroffen (Folgen des Atomkriegs, Versorgungsprobleme, Flüchtlingsströme). Eine unmittelbare Kriegsgefahr bestünde, wenn der Angriff des Warschauer Pakts am Rhein oder östlich davon ins Stocken geriete und dieser den Zusammenschluss mit seinen Kräften in Italien über die schweizerischen Alpentransversalen anstreben würde. Eine isolierte Operation Schweiz wurde von der Armeeführung bis 1968 nie ernsthaft in Betracht gezogen. Ein Überfall aus der Luft spielte in ihren Überlegungen erst nach den Prager Ereignissen und den Terrorangriffen auf die Zivilluftfahrt in den 1970er Jahren eine Rolle (Schaffung von Flughafenformationen).

Aufgrund der als immens wahrgenommenen Bedrohung durch den Warschauer Pakt und der bei jeder internationalen Krise aufkommenden Angst vor einem totalen Krieg war die Politik bereit, der Schweizer Armee erhebliche Mittel zur Verfügung zu stellen. Die Aufrüstung diente nach aussen der Abschreckung, nach innen der Hebung der Wehrbereitschaft. Davon profitierten unter anderem die Rüstungsbetriebe. Auch der Zivilschutz wurde stark ausgebaut.

Neue Studien zeigen, dass die Militärkraft des Warschauer Pakts überschätzt und dessen Angriffsabsichten in der Öffentlichkeit überzeichnet wurden. Westliche Nachrichtendienste, aber auch die Nato beurteilten den Warschauer Pakt weit realistischer. Es stellt sich daher die Frage, ob im Westen wie im Osten eine bewusste Desinformation über die angeblichen Aggressionsabsichten des ideologischen Gegners vorlag.

Quellen und Literatur

  • Generalstab 10-11
  • P. Veleff, Angriffsziel Schweiz?, 2007
  • Die Planung der Abwehr in der Armee 61, hg. von P. Braun, H. de Weck, 2009
  • Erinnerungen an die Armee 61, hg. von F. Betschon, L. Geiger, 2009.
Weblinks

Zitiervorschlag

Mauro Cerutti; Hans Rudolf Fuhrer: "Warschauer Pakt", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 27.01.2015. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/041284/2015-01-27/, konsultiert am 09.10.2024.