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Rüstungsbetriebe

Vor 1848 waren die Kantone für die Rüstung zuständig, wobei sie das Material grösstenteils im Ausland oder bei lokalen Büchsenmachern bezogen (Waffenproduktion und Waffenhandel). Seit der Schaffung des Bundesstaats obliegt diese Aufgabe dem Bund. Gestützt auf Artikel 38 der Bundesverfassung, der ihm das Pulverregal übertrug, kaufte er mehrere kantonale Pulvermühlen. Die meisten liess er zu Beginn des 20. Jahrhunderts schliessen. Einzig die Pulvermühle in Aubonne bestand als Bundesbetrieb bis 1996 und wurde dann privatisiert.

Um 1860 revolutionierten Hinterlader und längliche Geschosse die Waffenherstellung derart, dass herkömmliche Büchsenmacher mit der Entwicklung nicht mehr Schritt hielten. Auch waren die schweizerische Artillerie und die dafür bestimmte Munition völlig uneinheitlich. Deshalb gründete der Inspektor der Artillerie und spätere General Hans Herzog 1863 in Thun die Eidgenössische Konstruktionswerkstätte und die Eidgenössische Munitionsfabrik, um die Waffenproduktion den neuen Standards anzupassen. 1871 folgte die Eidgenössische Waffenfabrik Bern, 1896 die Eidgenössische Munitionsfabrik Altdorf (UR) und 1919 die Eidgenössische Pulverfabrik Wimmis. Diese Rüstungsbetriebe unterstanden dem Eidgenössischen Militärdepartement und arbeiteten manchmal mit der Privatindustrie zusammen.

Die Konstruktionswerkstätte Thun, die 1918 1200 Personen beschäftigte, stellte Geschütze her oder rüstete sie auf, ferner fabrizierte sie Fourgons (Lastwagen), Caissons (Munitionswagen), Fuhrwerke und Fahrküchen. Ab dem Ersten Weltkrieg entwickelte sie Schweizer Flugzeuge und produzierte in Lizenz auch ausländische Maschinen. Wegen Unzulänglichkeiten bei der Konstruktion und Ausführung wurde der Flugzeugbau nach Emmen verlegt und 1943 das Eidgenössische Flugzeugwerk gegründet. 1936 begann die Konstruktionswerkstätte mit der Fabrikation von Rohren für die Artillerie, die Flieger- und Panzerabwehr sowie für Panzer. Nach 1950 erhielt sie den Auftrag zur Entwicklung eines mittleren Kampfpanzers, worauf sie mehrere Serien von Schweizer Panzern produzierte. Bei deren Einführung in der Truppe traten Mängel zum Vorschein, die mit Hilfe der Privatindustrie behoben werden mussten. In den 1980er Jahren beteiligte sich die Konstruktionswerkstätte an der Lizenzherstellung des deutschen Panzers Leopard 2, wobei die Firma Contraves als Generalunternehmerin fungierte. Sie entwickelte auch ein Festungsartilleriesystem, konzentrierte sich jedoch auf die Lizenzproduktion und Modernisierung von Panzermaterial.

Die Munitionsfabrik Thun produzierte zunächst Artilleriegeschosse und entwickelte später auf der Basis gemeinsamer Forschung mit der Eidgenössischen Waffenfabrik eine kleinkalibrige Munition (7,5 mm) mit hoher Anfangsgeschwindigkeit. Im November 1918 beschäftigte sie 1851 Personen, zwei Jahre später noch 320. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs waren die Munitionsreserven äusserst knapp, so dass im Krieg bis zu 2400 Arbeiter im Einsatz standen. In der Nachkriegszeit blieben nur 1300 Stellen erhalten. Die Munitionsfabrik Altdorf (UR) spezialisierte sich auf Mittel- und Grosskalibermunition und war jahrzehntelang die zweitgrösste Arbeitgeberin im Kanton Uri (1988 1135 von 14'400 Stellen kantonsweit).

Oft in Zusammenarbeit mit Thun und der Schweizerischen Industrie-Gesellschaft in Neuhausen am Rheinfall entwickelte, fabrizierte und montierte die Waffenfabrik Bern während des Ersten Weltkriegs mit 700 Beschäftigten leichte Waffen, Repetiergewehre, Revolver, Pistolen und optische Geräte. 1925 brachte sie ein Maschinengewehr heraus (20'000 Stück bis 1939), 1931 einen Karabiner (530'000 bis 1939). Ferner entstanden Flabkanonen, Tankbüchsen und Flammenwerfer. Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sie neben Lizenzprodukten unter anderem ein Sturmgewehr, das vierzig Jahre lang hergestellt wurde.

Mit der Armee 95 kam es zur Restrukturierung der Rüstungsbetriebe. Die 1999 gegründete Ruag Holding umfasste die vier gemischtwirtschaftlichen, privatrechtlichen Aktiengesellschaften Schweizerische Unternehmung für Flugzeuge und Systeme, Schweizerische Unternehmung für Waffensysteme, Schweizerische Elektronikunternehmung und Schweizerische Munitionsunternehmung. Diese arbeiteten gewinnorientiert und diversifizierten ihre Aktivitäten. Die Mitarbeitenden verloren ihren Beamtenstatus und ihre Zahl ging zurück, nicht zuletzt, weil die Armee 95 und die Armee XXI zu einer deutlichen Reduktion der Armeeangehörigen führte. 2008 zählte die Ruag Holding 6310 Mitarbeitende im In- und Ausland und erzielte einen Nettoumsatz von 1537 Mio. Franken.

Quellen und Literatur

  • 100 Jahre Eidg. Waffenfabrik Bern, 1971
  • A. Brunisholz et al., Pulver, Bomben und Granaten, 1983
  • 125 Jahre Eidg. Munitionsfabrik Thun, 1988
  • D. Borel, «L'Office fédéral de la production d'armements», in RMS, 1988, 379-382, 439-447, 495-503
  • T. Scherrer, P. Lauber, 125 Jahre Eidg. Konstruktionswerkstätte Thun, 1988
Weblinks
Kurzinformationen
Kontext Eidgenössische Konstruktionswerkstätte Thun, Eidgenössische Munitionsfabrik Altdorf (UR), Eidgenössische Munitionsfabrik Thun, Eidgenössische Pulverfabrik Wimmis, Eidgenössische Waffenfabrik Bern, Eidgenössisches Flugzeugwerk Emmen, Ruag

Zitiervorschlag

Hervé de Weck: "Rüstungsbetriebe", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 14.04.2011, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/041663/2011-04-14/, konsultiert am 19.03.2024.