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Gebrüder Volkart

Die Hauptsitze der Gebrüder Volkart in Winterthur. Links: Lithografie von Emanuel Labhardt, erschienen bei Caspar Studer in Winterthur, um 1860-1870, 13,7 x 19,4 cm (Zentralbibliothek Zürich, Winterthur I, 76); Mitte: Fotografie von Stefan Kubli, 1995 (Winterthurer Bibliotheken, FotSch_010-165); rechts: Fotografie von Hans-Peter Bärtschi, 1991 (ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv, SIK_03-088012).
Die Hauptsitze der Gebrüder Volkart in Winterthur. Links: Lithografie von Emanuel Labhardt, erschienen bei Caspar Studer in Winterthur, um 1860-1870, 13,7 x 19,4 cm (Zentralbibliothek Zürich, Winterthur I, 76); Mitte: Fotografie von Stefan Kubli, 1995 (Winterthurer Bibliotheken, FotSch_010-165); rechts: Fotografie von Hans-Peter Bärtschi, 1991 (ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv, SIK_03-088012). […]

Bedeutendes Familienunternehmen aus Winterthur, das von 1851 bis 1999 im weltweiten Rohstoffhandel tätig war.

Gebrüder Volkart wurde 1851 in Winterthur zeitgleich mit einer Niederlassung in Bombay durch die Brüder Salomon und Johann Georg Volkart gegründet. Beide verfügten bereits über weitreichende Geschäftskontakte, ersterer als Handlungsreisender verschiedener Färbereien und Spinnereien (Indiennes), letzterer als Baumwolleinkäufer für ein deutsches Unternehmen in Bombay. Sie importierten Rohstoffe wie Kaffee, Gewürze, und Kokosfasern aus Indien nach Europa und exportierten europäische Konsumgüter wie Textilien, Uhren oder Schmuckwaren auf den Subkontinent (Überseehandel). Ab den 1860er Jahren war der Handel mit indischer Rohbaumwolle während mehrerer Jahrzehnte das bedeutendste Betätigungsfeld der Firma.

Das Unternehmen eröffnete neue Filialen in Colombo (Sri Lanka, 1857), auf dem indischen Subkontinent in Cochin (1857), Karachi (1861), Tellicherry (1875), Tuticorin (1877) und Madras (1888) sowie eine Niederlassung in London (1869). Gebrüder Volkart profitierte von der Kolonialherrschaft, da die Briten den Baumwollanbau für den eigenen Markt förderten sowie das Netz von Telegrafen- und Eisenbahnlinien in Indien ausbauten. Dadurch konnte die Firma ab den 1870er Jahren  Einkaufsagenturen im Landesinnern eröffnen und so die indischen Zwischenhändler umgehen, die bis dahin die Rohstoffe an die Küste transportiert hatten. Die schweizerische Nationalität war für die Geschäfte in Südasien kein Nachteil, da die britische Kolonialwirtschaft in Indien vom Prinzip des Freihandels geleitet war. Nur in Krisenzeiten – wie den beiden Weltkriegen oder während der Boykotte britischer Firmen durch die indische Unabhängigkeitsbewegung – spielte die Herkunft der Firma eine Rolle.

Da indische Baumwolle vor allem in Kontinentaleuropa und Ostasien nachgefragt war, eröffnete Gebrüder Volkart bis Mitte der 1920er Jahre fast 150 Verkaufsagenturen in 18 europäischen Ländern und fasste ab Ende des 19. Jahrhunderts in China und Japan Fuss (Multinationale Unternehmungen). Damit wurde Gebrüder Volkart ab dem späten 19. Jahrhundert zu einer der grössten Baumwollhandelsfirmen der Welt und einem der umsatzstärksten Schweizer Unternehmen. Auch die grösste Schweizer Bank geht teilweise auf die Geschäfte der Gebrüder Volkart zurück. 1862 gründeten Winterthurer Kaufleute und Industrielle, unter ihnen Salomon Volkart, die Bank in Winterthur. 1912 fusionierte diese mit der Toggenburger Bank zur Schweizerischen Bankgesellschaft (SGB), einer der Vorläuferinnen der UBS.

Wie viele Handelshäuser verblieb auch Gebrüder Volkart stets in Familienbesitz. Johann Georg Volkart verstarb 1861 kinderlos und Salomon Volkart trat 1875 zurück, worauf sein Sohn Georg Gottfried Volkart die Geschäfte übernahm. 1912 ging die Firma an Salomon Volkarts Schwiegersohn Theodor Reinhart über, den Spross der seit 1788 im Baumwollhandel aktiven Familie Reinhart, der schon ab 1879 Teilhaber der Gebrüder Volkart war. Später übernahmen dessen Söhne Oskar, Georg und Werner Reinhart. Aus den Gewinnen des Unternehmens wurden 1951 die Volkart Stiftung ins Leben gerufen und der Suhrkamp Verlag gegründet. Daneben finanzierten Mitglieder der Familie zahlreiche kulturelle Institutionen in der Schweiz, so die Kunstsammlungen Oskar Reinharts, das Fotomuseum Winterthur oder 1957 den Hans-Reinhart-Ring (Hans Reinhart), die höchste Auszeichnung für Theaterschaffende in der Schweiz. Ausserdem unterstützten sie Künstlerinnen und Künstler wie Clara Haskil, Alice BaillyHermann Hesse, Charles Ferdinand Ramuz oder Igor Strawinsky.

In der Zwischenkriegszeit eröffnete Gebrüder Volkart neue Filialen und Tochtergesellschaften in Deutschland, Japan, China, Singapur und den Vereinigten Staaten. Nach der Dekolonisierung Südasiens verlagerte das Unternehmen die Geschäfte in die westliche Hemisphäre und etablierte sich im US-amerikanischen Baumwollhandel sowie im lateinamerikanischen Rohkaffeehandel. Ab den frühen 1960er Jahren avancierte Gebrüder Volkart zu einer der grössten Kaffeehandelsfirmen der Welt. Andreas Reinhart übernahm 1985 die Leitung, zahlte die übrigen Familienmitglieder aus und begann eine gezielte Diversifikationspolitik in den Finanzsektor hinein (BZ Bank Zürich AG, VZ Versicherungszentrum AG). Nach schweren Verlusten zog sich das Unternehmen 1989 aus dem Kaffee- und 1999 aus dem Baumwollgeschäft zurück. 1989 übernahm die Erb-Gruppe das Kaffeegeschäft (Volcafe) und sicherte sich damit den zweitgrössten Marktanteil am internationalen Kaffeehandel. Nachdem die Erb-Gruppe 2003 in Konkurs gegangen war, wurde Volcafe 2004 Teil der britischen ED&F Man. Der Mehrheitsanteil am Suhrkamp Verlag wurde 1999 verkauft und die verbliebenen unternehmerischen Tätigkeiten gingen an die Paul Reinhart AG, sodass Gebrüder Volkart nach 1999 nur noch in Form der Volkart Stiftung existierte.

Quellen und Literatur

  • Stadtarchiv Winterthur, Winterthur, Firmenarchiv Gebrüder Volkart, STAW Dep 42.
  • Rambousek, Walter Heinrich; Vogt, Armin; Volkart, Hans Rudolf: Volkart. Die Geschichte einer Welthandelsfirma, 1990.
  • Dejung, Christof: Die Fäden des globalen Marktes. Eine Sozial- und Kulturgeschichte des Welthandels am Beispiel der Handelsfirma Gebrüder Volkart 1851-1999, 2013. 

 

Weblinks
Normdateien
GND
VIAF
Kurzinformationen
Variante(n)
Gebrüder Volkart AG
Reinhart Winterthur
Volkart Brothers
Kontext Volcafe, Volkart Holding, Volkart Stiftung

Zitiervorschlag

Christof Dejung: "Gebrüder Volkart", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 06.03.2024. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/041835/2024-03-06/, konsultiert am 27.04.2025.