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Sprachaufenthalt

Sprachaufenthalte kommen in verschiedenen Formen vor. Häufig bezeichnet der Begriff die Temporäraufenthalte junger Deutschschweizerinnen in der Westschweiz (Welschlandjahr) und Südschweiz sowie im Ausland bzw. jene von jungen Westschweizerinnen in der Deutschschweiz. Traditionell mehrheitlich von Mädchen zwischen dem Schulabschluss und der Berufsausbildung gewählt, oft als Zwischenjahr und im Tausch, dienten solche Aufenthalte vor allem dem Spracherwerb sowie dem Erwerb von Fähigkeiten in den Bereichen Haushaltsführung und Kinderbetreuung. Übliche Formen dieser Sprachaufenthalte waren das Volontariat (halb dienstliche, halb familiäre Aufnahme im Privathaushalt und Kleingewerbe), das Haushaltslehrjahr mit schulischem Abschluss, die entlöhnte Au-pair-Anstellung, das Bildungsjahr etwa in einem Pensionat und das Praktikum zum Beispiel in einem Heim oder Spital. Die Platzierung erfolgte zumeist über spezialisierte Stellenvermittlungen, die zum Teil konfessionell geprägt waren.

Artikel mit Fotografien von Max Kettel in der Schweizer Illustrierten Zeitung, 21. April 1937 (Zentralbibliothek Zürich).
Artikel mit Fotografien von Max Kettel in der Schweizer Illustrierten Zeitung, 21. April 1937 (Zentralbibliothek Zürich).

Sprachaufenthalte stehen in einer langen Bildungs- und Erziehungstradition. Vom 15. Jahrhundert an formten Pagendienste an französischen Höfen, kaufmännische Praktika und Universitätsbesuche in anderen Ländern typische Ausbildungsgänge. Es folgten im 17. und 18. Jahrhundert Bildungsreisen und Kriegsdienste, später Aufenthalte im Pensionat. Die internationale Nachfrage nach einer Gesellschaftserziehung, die sich an französischen Bildungsentwürfen orientierte, prägte den westschweizerischen Bildungstourismus und förderte die Entstehung zahlreicher privater Bildungsstätten. Davon profitierten im 19. Jahrhundert auch Töchter bürgerlicher Kreise. Ein markanter Popularisierungsschub erfolgte ab 1880 mit dem Volontariat für Dienstboten und Haushaltshilfen aus dem bäuerlichen Milieu und der Unterschicht. Verschiedene Organisationen wie die Freundinnen junger Mädchen, der Internationale Katholische Mädchenschutzverein, der Landeskirchliche Fürsorgedienst oder Pro Filia bekämpften Ausbeutung und Sittenzerfall in der sogenannten Welschlandgängerei und engagierten sich bei der Stellenplatzierung und Betreuung. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts nahm die Bedeutung des Volontariats ab. Die Abwertung des Französischen favorisierte zunehmend andere Destinationen (u.a. USA, England, Australien, Spanien), ausserdem wurden Sprachaufenthalte in der Laufbahnplanung gezielter als Statuspassagen und Zwischenlösungen eingesetzt. Auf neuere Entwicklungen verweisen der interregionale Schüler- und Klassenaustausch sowie ein Dienstleistungsnetz für internatioanle Platzierungen mit diversen Anbietern.

Quellen und Literatur

  • U. Gyr, Lektion fürs Leben, 1989
  • U. Gyr, Das Welschlandjahr, 1992
  • U. Gyr, «Welschlandaufenthalte als Übergangs- und Kontaktmuster», in Hb. der schweiz. Volkskultur 1, hg. von P. Hugger, 1992, 119-128
Weblinks

Zitiervorschlag

Ueli Gyr: "Sprachaufenthalt", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 10.01.2013. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/046906/2013-01-10/, konsultiert am 28.03.2025.