de fr it

Privatschulen

Der Begriff Privatschulen umfasst schulische Einrichtungen, die auf private Initiative zurückgehen und im Gegensatz zur öffentlichen Schule keine staatliche Trägerschaft haben. Als sich im 19. Jahrhundert verschiedene, häufig religiöse Gruppierungen gegen den «erzieherischen Staat» auflehnten (Schulwesen), erlebten die Privatschulen eine Blütezeit. Anders als die Erziehung durch Hauslehrer, bei der Kinder einzelner Familien unterrichtet werden, richten sich Privatschulen an die Gemeinschaft. Ob sich der Staat finanziell an einer Schule beteiligt oder nicht, ist kein eigentliches Erkennungsmerkmal von Privatschulen, obschon diese im Allgemeinen kostenpflichtig sind und aus privaten Mitteln finanziert werden.

In der Antike fand der Unterricht zu Hause im privaten Rahmen statt. Im ausgehenden Mittelalter entstanden neben den Klosterschulen und den gewissermassen öffentlichen Lateinschulen in den Städten auch Privatschulen. Meist waren es Wanderlehrer, die hier in der Volkssprache Lesen und Schreiben unterrichteten.

In der frühen Neuzeit schliesslich bestanden beide Schulformen nebeneinander. Die öffentliche Schule war an die obrigkeitlichen Gesetze gebunden, ihre Organisation wurde den Gemeinden übertragen. Der Lehrplan war stark von religiösen Grundsätzen geprägt. Privatschulen wurden im Allgemeinen von Lehrern oder Lehrerinnen geführt, welche die Kinder in ihren Privaträumen empfingen. Dieses System bestand auch noch im 19. Jahrhundert, wie das Beispiel von Rodolphe Töpffer zeigt. Weil die bestehenden Institutionen nicht allen Bedürfnissen genügten, wurden im 18. Jahrhundert mehrere Privatschulen gegründet, so 1726 die Armenschulen in Lausanne, aus der zahlreiche Schullehrer hervorgingen. Die Société des Arts in Genf führte 1776 erstmals Klassen für Mechanik und Chemie. Insgesamt wurden Mädchen häufiger privat unterrichtet als Buben. Als sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts im Jurabogen die Spitzenklöpplerei etablierte, unterrichteten die Lehrerinnen dort neben Lesen auch dieses Handwerk. Privatunterricht wurde zudem von der Kirche erteilt, die häufig staatliche Lehraufträge erfüllte (Ursulinen). Im 18. Jahrhundert entstanden auch weltliche Privatinstitute, unter anderem 1761 das Seminar in Haldenstein, das 1771 auf Schloss Marschlins verlegt wurde (Philanthropinum), sowie 1793 ein Institut in Ftan.

Nach der Helvetischen Revolution bzw. im 19. Jahrhundert übernahmen die Kantone nach und nach in der ganzen Schweiz die direkte Verantwortung für die Schulen (Primarschule). Dieser kantonal nicht linear verlaufende Prozess war 1874 abgeschlossen. Zur rechtlichen Stellung der Privatschulen enthält die Bundesverfassung keine Bestimmungen. Die Kantone sind frei, diese anzuerkennen, ihnen Vorschriften aufzuerlegen oder sie zu verbieten. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts anerkennen alle Kantone die Unterrichtsfreiheit und erlauben die Wahl einer Privatschule, die letztendlich der staatlichen Kontrolle unterliegt. Obwohl Privatschulen zum Service public beitragen, werden sie nur von wenigen Kantonen finanziell unterstützt.

Die Säkularisierung der staatlichen Schulen im 19. Jahrhundert führte zu einem Ausbau des konfessionell geprägten Privatschulangebots. Bestehende wie neu entstandene katholische Kongregationen waren auf dem gesamten Gebiet der Schweiz aktiv. Auf reformierter Seite lassen sich in der Deutschschweiz drei Gründungswellen ausmachen. Die erste ging 1820 von Schloss Beuggen im Grossherzogtum Baden aus. Mehrere Lehrer dieser Schule liessen sich in der Schweiz nieder und eröffneten hier Schulen (z.B. in Schiers). In den 1850er und 1860er Jahren erfasste eine zweite Welle Bern (Neue Mädchenschule, Freies Gymnasium, Evangelisches Seminar Muristalden), eine dritte die Ostschweiz und Zürich. In der Westschweiz gründeten Vertreter von Freikirchen aufgrund ihrer Ablehnung der reformierten Landeskirche mehrere Schulen, so in Lausanne die Mädchenschule Ecole Vinet und das Collège Galliard für Knaben. Dieses Netz von Privatschulen wurde vor allem für die Mädchenerziehung wichtig.

Auch Berufsschulen wurden auf privater Basis betrieben. Die 1853 gegründete Ecole spéciale, die Ingenieure und Architekten ausbildete, ist die Vorläuferin der ETH Lausanne. Kaufleute erteilten erste Branchenkurse. Die Zürcher Lehrervereinigung Juventus bot ab 1880 Angestellten Abendkurse an – ein Beispiel, das Schule machte.

Vom 19. Jahrhundert an wurde jede gute Ausbildung durch einen kürzeren oder längeren Aufenthalt in der Heimat von Jean-Jacques Rousseau, Johann Heinrich Pestalozzi, Philipp Emanuel von Fellenberg oder Gregor Girard gekrönt. Besonders in der Westschweiz machten sich prestigeträchtige Institute einen Namen damit, dass sie später berühmt gewordene Persönlichkeiten ausgebildet hatten, etwa die Ecole nouvelle in Chailly (Gemeinde Lausanne) oder das Institut Le Rosey in Rolle. Die Zahl der Mädchenpensionate in der Schweiz vervielfachte sich. Im 20. Jahrhundert gehörte die politische Stabilität der Schweiz, die Ruhe und Sicherheit versprach, zu den Vorzügen der hiesigen Privatschulen. Ausbildungstourismus wird nach wie vor betrieben, wobei seine wirtschaftliche Bedeutung in der Westschweiz nicht zu unterschätzen ist. Zwei Drittel aller Privatschulen befinden sich nämlich in den Kantonen Genf und Waadt.

Zahlreiche dieser Institute zeichnen sich durch individuelle Angebote aus, die sich nach den Fähigkeiten und Zielen des Einzelnen richten und zum Beispiel moderne Sprachen (Englisch und v.a. Französisch), Sport und neu auch Informatik fördern. In der Westschweiz, wo Adolphe Ferrière 1899 das Bureau international des ecoles nouvelles gegründet hatte, wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts mehrere sogenannte Arbeitsschulen (écoles actives) gezählt. Die Landerziehungsheime der Deutschschweiz orientierten sich am Modell des Deutschen Hermann Lietz, der seinerseits von den englischen New Schools geprägt war. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kamen neue pädagogische Reformbewegungen auf. 1926 wurde in Basel die erste Rudolf-Steiner-Schule eröffnet. Die Ideen der italienischen Ärztin Maria Montessori («Kinderhaus») wurden auch in der Schweiz umgesetzt. Elisabeth Friederike Rotten und Jean Piaget gründeten 1932 die Schweizerische Montessori-Gesellschaft. Der aus Deutschland geflüchtete Paul Geheeb eröffnete 1946 in Goldern (Gemeinde Hasliberg) die Ecole d'humanité.

Informationstafel des Genfer Instituts "Privat", um 1890 (Collection historique de la communauté de recherche interdisciplinaire sur l’éducation et l’enfance, Genf).
Informationstafel des Genfer Instituts "Privat", um 1890 (Collection historique de la communauté de recherche interdisciplinaire sur l’éducation et l’enfance, Genf). […]

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts bieten Privatschulen echte pädagogische Alternativen, sie schliessen aber auch die im öffentlichen Angebot auf allen Stufen – vom Kindergarten bis zur Universität – bestehenden Lücken. Der riesige Bereich der Berufsschulen und der Erwachsenenbildung wird ebenfalls abgedeckt. Die 1944 gegründete Klubschule Migros ist in der ganzen Schweiz präsent.

Als die öffentlichen Schulen 1874 unentgeltlich wurden, nahm die Zahl der Privatschulen ab. Damit verstärkte sich ihr elitärer Zug, zumal Privatschulen als Existenzgrundlage Schulgelder benötigen. 1938 besuchten 40'000 Schülerinnen und Schüler eine subventionierte oder nicht subventionierte Privatschule. 2009-2010 waren es schweizweit 3,5% der Kinder im Vorschulalter, 3,6% der Schulpflichtigen, 5,6% auf Sekundarstufe II und 8,3% auf Tertiärstufe, was einem Schnitt von 5,6% entspricht. Auf der nicht universitären Tertiärstufe und bei der Erwachsenenbildung lag der Anteil 1999-2000 bei fast 50%. 2010 gehörten dem Verband Schweizerischer Privatschulen von knapp 1,5 Mio. Schülerinnen und Studierenden schweizweit rund 260 Schulen mit ca. 100'000 Schülern, Studierenden und Lernenden an. Die katholischen Schulen, die Steiner-Schulen und die Freischulen sind in eigenen Verbänden organisiert. Privatschulen unterliegen den Gesetzen von Angebot und Nachfrage; sie reagieren sensibel auf Konjunkturschwankungen. Seit den 1970er Jahren mussten einige – hauptsächlich konfessionelle – Schulen aufgeben. In mehreren Kantonen wird die Frage von Zuschüssen (seit 1999 unterstützt Zürich private Gymnasien) und sogenannten Bildungsgutscheinen diskutiert, in deren Genuss jene Eltern kommen sollen, die ihre Kinder auf eine Privatschule schicken möchten, jedoch nicht über die nötigen finanziellen Mittel verfügen. Aus Sicht der Befürworter garantieren solche Gutscheine die freie Schulwahl, die Gegner fürchten um die Qualität der Staatsschule. 2001 haben die Tessiner in einer Volksabstimmung einen entsprechenden Vorstoss abgelehnt, ebenso der Kanton Basel-Landschaft 2008. Eine Initiative, welche die freie Schulwahl forderte, wurde 2009 im Kanton Thurgau eingereicht, jedoch 2010 mit 80% Nein-Stimmen verworfen. In den Kantonen St. Gallen, Zürich, Aargau und Waadt waren 2009 entsprechende Vorlagen in Planung.

Quellen und Literatur

  • M. Näf, Alternative Schulformen in der Schweiz, 1988 (21990)
  • R. Hofstetter, Le drapeau dans le cartable: histoire des écoles privées à Genève au 19e siècle, 1994
  • B. Mascello, Elternrecht und Privatschulfreiheit, 1995 (mit Bibl.)
  • T. Ben M'Rad et al., L'impact des écoles privées, membres de l'AVDEP (Association Vaudoise des Ecoles Privées) sur l'économie et le tourisme, 2000
  • I. Grossrieder, Meinungen und Einstellungen von Eltern/Erziehungsberechtigten zur Schulwahl, 2001
Weblinks

Zitiervorschlag

Rita Hofstetter; Bruno Santini-Amgarten: "Privatschulen", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 09.08.2012, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/048088/2012-08-09/, konsultiert am 06.02.2025.