Fussball ist seit dem frühen 20. Jahrhundert die populärste und medienwirksamste Sportart der Welt. Aus volkstümlichen Ballspielen der Vormoderne gingen im 19. Jahrhundert Regelwerke für mehrere Fussballvarianten hervor, von denen der 1863 in London kodifizierte Association Football einen weltweiten Siegeszug antrat und sich als Männer- und Knabensport rasch in der Schweiz etablierte. Die frühe Rezeption des Fussballs hierzulande hing mit den engen wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zwischen den beiden liberalen Industriestaaten Schweiz und Grossbritannien zusammen. Bereits um die Wende zum 20. Jahrhundert spielten auch Frauen an englischen Privatschulen Fussball. In England und Frankreich brachte der Erste Weltkrieg einen Boom kickender Frauenteams, wo Spielerinnen aus der Mittelschicht und der Arbeiterklasse zu karitativen Zwecken und als Ersatz für die wehrpflichtigen Männer Benefizspiele austrugen. Um 1920 setzten die ersten frauenfussballerischen Aktivitäten in der Schweiz ein, doch erst ab Ende der 1960er Jahre forderten Frauen verstärkt ihren Platz im Fussballsport ein. Die Gehörlosen als Pioniere im Behindertensport organisierten sich hierzulande bereits in den 1910er Jahren.
Die Fussballgeschichtsschreibung in der Schweiz konzentrierte sich lange auf Verbands- und Vereinsfestschriften (Sportverbände), ergänzt durch die Erinnerungskultur der Fans. Ab der Jahrtausendwende richteten einige Vereine Museen ein und kümmerten sich um ihre Archive. Während Fussball im angelsächsischen Raum seit den 1970er Jahren Gegenstand sozial- und kulturhistorischer Forschung ist, erfolgte dieser Schritt in der Schweiz erst ab den 1990er Jahren. Themen der akademischen Fussballhistoriografie sind etwa die Kulturtransfers um 1900, die Professionalisierungsprozesse seit den 1920er Jahren, die Rolle des Fussballs zur Zeit der Geistigen Landesverteidigung, die Geschlechtergeschichte des Fussballs, der Stadionbau, die Entwicklung von Fankulturen sowie der migrantische Fussball. Wenig erforscht ist bislang der Fussball von Menschen mit Beeinträchtigung. Dieser Artikel behandelt die Entwicklung des Fussballs nach den Regeln des Association Football in der Schweiz. Ausgeklammert werden weniger präsente, aus diesen Regeln hervorgegangene Spiele wie Hallenfussball, Futsal und Beach Soccer sowie Fussballvarianten nach anderen Regelsystemen wie Rugby oder American Football.
Ab den 1850er, spätestens ab den 1860er Jahren sind in der Schweiz am Genfersee erstmals Spiele in verschiedenen Fussballvarianten bezeugt; einzelne Quellen deuten sogar auf entsprechende Aktivitäten in Genf in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hin. Wesentliche Träger des Kulturtransfers aus Grossbritannien waren Internate mit internationaler Lehrer- und Schülerschaft nach dem Vorbild von Public Schools (Privatschulen), britische Studenten und Geschäftsleute in der Schweiz sowie Schweizer, die an britischen Bildungseinrichtungen studiert hatten. In den 1870er Jahren entstanden die ersten, britisch dominierten Fussballvereine. Ab den 1880er Jahren ging der Fussball in den Turnunterricht von Knaben an den Volks- und Mittelschulen ein, hatte allerdings noch jahrzehntelang gegen Vorbehalte aus pädagogischen Kreisen zu kämpfen. In den Städten nahm die Zahl (oft kurzlebiger) Vereinsgründungen zu. 1895 gründeten zwölf Vereine die Schweizerische Football-Association (SFA, ab 1919 Schweizerischer Fussball- und Athletikverband, SFAV, ab 1958 Schweizerischer Fussballverband, SFV).
Fotografie der Meistermannschaft des Grasshopper Clubs Zürich von 1900, aufgenommen im Atelier von Johannes Meiner, Zürich (Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich, MEI 9839).
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Die erste, inoffizielle Schweizer Meisterschaft gewann 1898 der Grasshopper Club Zürich. Im Folgejahr wurde der hauptsächlich aus angelsächsischen Chemiestudenten des Eidgenössischen Polytechnikums bestehende Anglo-American Club Zürich erster offizieller Meister. Um die Jahrhundertwende gab es Anfänge einer Fankultur wie Laternen in den Vereinsfarben und Siegesfeiern. Zu Meisterschaftsspielen kamen einige hundert, in der Finalphase wenige tausend Zuschauer und Zuschauerinnen. Nachdem es ab 1897 Begegnungen einer Schweizer Landesauswahl (mit mehrheitlich ausländischen Spielern) gegen Teams aus dem nahen Ausland gegeben hatte, trug die Schweiz 1905 ihr erstes offizielles Länderspiel aus. Auch einzelne Vereine spielten internationale Partien und beteiligten sich an internationalen Turnieren, wie der FC Winterthur 1909 oder der FC Zürich 1911 an der Sir Thomas Lipton Trophy in Turin. Die Schweiz war zudem Transitort für die weitere Verbreitung des Männerfussballs: Schweizer Vereinsgründer sowie ausländische Pioniere, die an Schweizer Bildungseinrichtungen mit dem Fussball in Berührung gekommen waren, brachten den Sport nach Italien, Frankreich, Deutschland, Spanien, Russland, Südosteuropa, Nordafrika und Brasilien. So rief etwa der Winterthurer Hans Gamper 1899 den FC Barcelona ins Leben und der in Montreux zur Schule gegangene Walther Bensemann gründete mehrere deutsche Vereine sowie 1920 die Fussballzeitschrift Kicker. 1904 gehörte die Schweiz zu den sieben kontinentaleuropäischen Ländern, die den Internationalen Verband des Association Football(Fifa) aus der Taufe hoben. Die Fifa hat ihren Sitz seit 1932 in Zürich und wird seit 1998 von Schweizern geführt (1998-2015 Joseph Blatter, seit 2016 Gianni Infantino). Auch an der Gründung der Union Europäischer Fussballverbände (Uefa) 1954 in Basel war die Schweiz beteiligt. Sitz der Uefa war 1959-1995 Bern, seither Nyon. Das Präsidium hatte 1962-1972 der Schweizer Gustav Wiederkehr inne.
Innerhalb der Schweiz setzte im Männerfussball früheine geografische und soziale Diffusion ein. Nach der Jahrhundertwende entstanden auch in ländlichen Regionen Vereine. 1902 gehörten dem nationalen Verband 26 Klubs an, 1914 waren es bereits 115 mit rund 15'000 Mitgliedern. Bis 1918 waren fast alle Landesregionen in der obersten Spielklasse vertreten mit Ausnahme der Süd- und Südostschweiz (wobei der FC Chiasso ab 1914-1915 der höchsten italienischen Spielklasse angehörte). Auch diffundierte das Fussballspiel von kaufmännischen und akademischen Kreisen in breitere männliche Bevölkerungsschichten und ab etwa 1900 auch in die Arbeiterschaft (Arbeitervereine). An der Landesausstellung 1914 gab es mehrere Fussballspiele; während des Ersten Weltkriegs gingen der nationale und internationale Spielbetrieb weiter und der Fussball fand Eingang in den Dienstbetrieb der Armee.
In der Zwischenkriegszeit wurde die männliche Jugend von einem in pädagogischen Kreisen wiederholt beklagten «Fussballfieber» erfasst. Das ab den 1880er Jahren nachweisbare unorganisierte Knabenfussballspiel auf Strassen, Plätzen und Wiesen nahm zu, obwohl an Schulen das Handballspiel als Alternative propagiert wurde. Die Popularität des Fussballs erhielt einen weiteren Schub, als die Schweiz 1924 am Olympischen Turnier (Olympische Bewegung) bis ins Final vorstiess. Der organisierte Fussball erlebte ebenfalls einen Aufschwung: Die Zahl der aktiven Spieler im SFAV stieg bis 1945 auf 80'000. Hinzu kamen konkurrierende Fussballaktivitäten im Schweizerischen Arbeiter-Turn- und Sportverband (Satus), der ab 1921 eine eigene Meisterschaft ausrichtete, im Schweizerischen Katholischen Turn- und Sportverband (Turnbewegung), im kurzlebigen kommunistischen Rotsport-Verband sowie im Firmensport (Arbeiterwohlfahrt), der, nach regionalen Anfängen in der Zwischenkriegszeit, ab 1943 einen nationalen Firmenfussballmeister ermittelte und in der frühen Nachkriegszeit seinen Höhepunkt erlebte. In den SFAV integriert war der jüdische Fussball, vertreten durch die Fussballabteilungen verschiedener jüdischer Turnvereine, den 1922 gegründeten FC Hakoah Zürich sowie ab 1950 durch eine Schweizer Auswahl an internationalen Maccabi-Turnieren.
Parallel zu diesen Entwicklungen wurde der Fussball Teil der neuen Massenkultur. Die Medialisierung nahm mit Pressefotografie (Fotografie), Radio, Filmwochenschau und einer spezialisierten Sportpresse (Presse) zu, die Spieler wurden zu Werbeträgern (Werbung). 1922-1934 entstanden zwölf Stadien mit einem Fassungsvermögen von jeweils über 10'000 Personen. 1925 führte der SFAV als zweiten nationalen Wettbewerb den Swiss-Cup (später Schweizer Cup) ein; 1931 erfolgte die Gründung einer Nationalliga mit teilweise professionellen Spielern. Der erhoffte Publikumsaufmarsch blieb aber aus und der Professionalismus geriet in die Kritik unterschiedlicher (sport-)politischer Lager. Nicht zuletzt aufgrund finanzieller Probleme in den Vereinen erliess der SFAV 1941 ein vollständiges Verbot des Berufsspielertums.
Mit dem Sieg der Schweizer Nationalmannschaft gegen «Grossdeutschland» (Nationalsozialismus) an der Weltmeisterschaft 1938, der eine landesweite Euphorie auslöste, wurde der Männersport Fussball ein Element der Geistigen Landesverteidigung. An der Landesausstellung 1939 fanden Repräsentationsspiele der Nationalmannschaft gegen Auswahlteams der Nachbarländer sowie ein internationales Juniorenturnier statt. Im Zweiten Weltkrieg wurde der Meisterschafts- und bis 1943 der Länderspielbetrieb aufrechterhalten. Auch publikumswirksame Partien zwischen Auswahlteams militärischer Einheiten wurden ausgetragen. Für Aufsehen sorgten vier Freundschaftsländerspiele gegen Deutschland 1941 und 1942, zu denen sich politische, militärische und diplomatische Prominenz beider Länder im Stadion einfand.
Die Reamateurisierung des Spitzenfussballs nach 1941, der in den späten 1950er Jahren ein vorsichtiger Übergang zum Halbprofessionalismus folgte, führte – nach ansprechenden Leistungen des Nationalteams an den Weltmeisterschaften 1950 in Brasilien und 1954 im eigenen Land – zu einem leistungsmässigen Abstieg des Schweizer Männerfussballs auf der internationalen Bühne. Zwar löste auch hierzulande die Symbiose zwischen Fussball und Fernsehen einen Kommerzialisierungsschub aus, ebenso erfolgte Ende der 1970er Jahre der Übergang zum Vollprofessionalismus, doch schaffte die Nationalmannschaft in den 1970er und 1980er Jahren keine einzige Qualifikation für eine Welt- oder Europameisterschaftsendrunde. In den ab 1955 entstandenen europäischen Klubwettbewerben schieden die Schweizer Vereine von wenigen Ausnahmen abgesehen (Young Boys 1959 sowie FC Zürich 1964 und 1977 im Halbfinal des Meistercups, Grasshopper Club 1978 im Halbfinal des Uefa-Cups) frühzeitig aus. Die Publikumszahlen bei Meisterschaftsspielen blieben bescheiden und die Stadioninfrastruktur veraltete.
Spielszene des Schweizer Cupfinals zwischen dem FC Sitten und Servette Genf, Stadion Wankdorf in Bern, Pfingstmontag, 19. Mai 1986 (KEYSTONE, Bild 29180245).
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Die Fankultur entwickelte sich gleichwohl weiter: Elemente der britischen Fankultur wie das Singen hielten Einzug in die Schweizer Stadien, Anhänger verschiedener Vereine organisierten sich in Fanklubs und Sponsorenvereinigungen. 1951 wurden beim Schweizer Cupfinal Zuschauerausschreitungen registriert, ab den späten 1960er Jahren häuften sich die Verwendung von Pyrotechnik (Explosivstoffe) sowie Stürme aus dem Publikum auf den Platz, was in den 1970er Jahren die Einzäunung der Spielfelder nach sich zog. Die internationale Welle des Hooliganismus mit zum Teil rechtsextremen Einflüssen (Rechtsradikalismus) erreichte die Schweiz im folgenden Jahrzehnt. Der gesellschaftliche Wandel der Nachkriegszeit zeigte sich auch im Fussball, indem als Folge der starken Einwanderung während der Hochkonjunktur zahlreiche migrantische Vereine entstanden. Aus deren Gründungsjahren lässt sich der zeitliche Verlauf der Immigration aus unterschiedlichen Ländern und Weltregionen ablesen – ein Prozess, der sich im 21. Jahrhundert fortsetzte, sodass in urbanen Regionen fast ein Drittel der Vereine migrantischen Ursprungs sind. Um 1970 etablierte sich auch der Frauenfussball.
Die Schweizer Nationalspieler Manuel Akanji, Ricardo Rodríguez, Breel Embolo und Dan Ndoye (von links) mit den Einlaufkindern vor dem Gruppenspiel gegen Deutschland an der Euro 2024, Frankfurt am Main, 23. Juni 2024 (KEYSTONE / Peter Klaunzer, Bild 617457307).
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Der Schweizer Männerfussball erlebte ab den 1990er Jahren einen neuerlichen, im internationalen Trend liegenden Kommerzialisierungsschub. Zugleich steigerten sich die Leistungen des Nationalteams, das sich 1994 erstmals seit 1966 wieder für eine Weltmeisterschaftsendrunde qualifizieren konnte und danach regelmässig an Welt- und Europameisterschaften teilnahm. Leistungsträger waren oft Spieler aus Einwandererfamilien (Ausländer), die zum Symbol für eine erfolgreiche Integrationspolitik wurden. Einige Spitzenvereine wandelten sich – früheren Beispielen folgend – in Aktiengesellschaften um. Die Jahresbudgets kletterten im frühen 21. Jahrhundert teilweise auf über 60 Mio. Franken, doch häuften sich auch finanzielle Probleme aufgrund überhöhter Transfersummen, Spielergehälter und Finanzspekulationen, die in den spektakulären Konkursen der Traditionsvereine Servette Genf 2005 und Neuchâtel Xamax 2012 gipfelten. Im Vorfeld der in der Schweiz und Österreich ausgetragenen Europameisterschaft 2008 wurde die Stadioninfrastruktur modernisiert. Ab den 1990er Jahren zeigte sich die internationale Ultra-Kultur, deren Anhänger und Anhängerinnen das eigene Team mit aufwendigen Choreografien unterstützen und Kritik an der Kommerzialisierung sowie der lokalen Entwurzelung des Fussballs üben, auch in Schweizer Stadien. Zugleich blieben die Probleme mit Hooligans aktuell und erreichten Höhepunkte mit Gewaltexzessen in Basel 2006 und Zürich 2011 sowie mit einem Skandal um antisemitische Luzern-Fans in St. Gallen 2015.
2022 war der SFV mit 325'000 Mitgliedern (davon 12% Frauen) der mitgliederstärkste Sportverband des Landes. Von der Popularität des Fussballsports zeugt schliesslich, dass unterschiedliche Interessengruppen sich auch ausserhalb der Verbandsstrukturen organisieren und teils eigene internationale Wettbewerbe durchführen, wie die auf LGBT+-Teilnehmende ausgerichteten Fussballturniere an den Eurogames in Zürich 2000 und Bern 2023 oder die 2008 erstmals in Graubünden ausgetragene Fussball-Europeada für sprachliche Minderheiten.
Frauenfussball
Autorin/Autor:
Marianne Meier
Erste Spuren des Frauenfussballs in der Schweiz finden sich – analog zum Männerfussball – in Genf. Dort gründeten 1923 junge, sportbegeisterte Frauen aus der Oberschicht den Klub Les Sportives. 1927 existierte ein Mädchenteam beim FC Young Fellows Zürich, auch beteiligten sich Frauenteams zwischen 1939 und 1950 an Dorfturnieren in Adliswil. Danach ist bis in die 1960er Jahre keine Berichterstattung über fussballerische Aktivitäten von Frauen belegt. Zwar verbot der SFV, anders als etwa die Landesverbände in England (1921-1971) oder Deutschland (1955-1970), den Frauenfussball nicht, dennoch wurde dieser auch hierzulande behindert. Es hiess, die stark körperbetonte Teamsportart sei unweiblich, unästhetisch und medizinisch schädlich für Mädchen und Frauen (Geschlechterrollen). Während grossbürgerliche und aristokratische Sportarten wie Tennis, Golf und Reiten schon Ende des 19. Jahrhunderts den Frauen offenstanden, zeugt die Geschichte des Fussballs immer wieder von Schikane, Missgunst und Ausgrenzung. Auch im Vergleich zu Fechten, Schwimmen, Leichtathletik oder Skifahren erfolgte die Öffnung des männlich konnotierten Fussballs – ähnlich wie bei Rugby, Eishockey, Bobfahren oder Skispringen – mit Verspätung (Wintersport). Männerbündisch geprägte Vereine und Verbände konservierten im Zusammenspiel mit den Medien und einer lange von Machismo durchdrungenen Fankultur das maskuline Image des Fussballs.
Zu Beginn der 1960er Jahre, popularisiert durch die beliebten Grümpelturniere (Freizeitturniere) und dank des einsetzenden gesellschaftlichen Wandels, entwickelte sich der Fussball zu einer Breitensportbewegung. In Murgenthal riefen 1963 Monika und Silvia Stahel sowie Theres Rüsch mit dem FC Goitschel das erste Frauenfussballteam der Schweiz ins Leben. Zudem bildete der SFV die Schwestern und ihre Mitstreiterinnen als Schiedsrichterinnen für den offiziellen Spielbetrieb der Junioren aus. Die Walliserin Madeleine Boll erhielt 1965 als weltweit erstes Mädchen eine Spiellizenz eines Landesverbands, was auch international ein grosses Medienecho auslöste. Der SFV entzog ihr diese jedoch wenig später mit der Begründung, es habe sich um ein Versehen gehandelt; de facto kam dies einem Fussballverbot für Frauen gleich.
Das Team des Damenfussball-Clubs (DFC) Zürich, aufgenommen im Juli 1971 vor dem Stadion Letzigrund in Zürich (KEYSTONE / Photopress / Eugen Suter, Bild 334848912).
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Ende der 1960er Jahre gelangen entscheidende Insitutionalisierungsschritte. In Zürich wurde 1968 mit dem DFC Zürich der erste Damenfussball-Club (DFC) im Sinn eines Vereins nach Artikel 60 ZGB gegründet, 1969 schlossen sich Westschweizer Klubs in der Association romande defootball féminin (ARFF) zusammen und 1970 erfolgte die Gründung der Schweizerischen Damenfussball-Liga (SDFL) in Bern als nationaler Verband, dem zunächst 18 Vereine, 1973-1974 34, Anfang der 1980er Jahre über 60 und 1993 bei seiner Auflösung 186 Erwachsenenteams und insgesamt 3659 lizenzierte Spielerinnen angehörten. Die SDFL war von Beginn weg dem SFV angegliedert, doch nicht in dessen Strukturen integriert. Damit anerkannte der SFV den Frauenfussball, kontrollierte ihn aber auch. So durften der SDFL nur Vereine beitreten, die sich einem im SFV organisierten Männerverein angeschlossen hatten; die Gründung selbstständiger Fussballvereine war fortan nicht mehr möglich.
Mit der SDFL war der Boden für einen regulären Spielbetrieb bereitet. Die erste Schweizer Meisterschaft 1970-1971 mit 18 Teams entschied der DFC Aarau für sich. In der Saison 1975-1976 spielten Fussballerinnen erstmals um den Schweizer Cup, den der DFC Sitten gewann. Ebenfalls 1970 nahm eine Auswahl von Schweizer Spielerinnen an der ersten inoffiziellen Weltmeisterschaft der Fussballerinnen in Salerno teil und 1972 gab das Schweizer Nationalteam in Basel sein offizielles Länderspiel-Debüt gegen Frankreich. Die Entwicklung des Frauenfussballs fiel zeitlich mit der Einführung des Frauenstimmrechts 1971 und gleichstellungspolitischen Errungenschaften wie dem 1970 angenommenen Verfassungsartikel betreffend die Förderung von Turnen und Sport, der ein Schulsport-Obligatorium für Jungen und Mädchen festschrieb, zusammen. Gleichwohl traten Fussballerinnen kaum als Vertreterinnen der Frauenbewegung auf. Wenn die Medien über Fussballerinnen berichteten, dann bis in die 1990er Jahre meistens auf eine in Wort und Bild herabsetzende und sexistische, mitunter auch homofeindliche Art. Zwischen 1980 und 1988 gewannen die Schweizerinnen nur gerade sechs von 38 Länderspielen und konnten nicht an ihre früheren Erfolge anknüpfen.
Erstes offizielles Länderspiel des Nationalteams am 7. Mai 1972 im Basler Rankhof. Links: die Schweizer Spielerinnen angeführt von Captain Madeleine Boll vor dem Spiel gegen Frankreich; rechts: eine Spielszene mit Cathy Moser (links) (KEYSTONE/Photopress, Bilder 310166349 und 115065050).
Die 1990er Jahre brachten einen weltweiten Frauenfussball-Boom. In Atlanta wurde der Fussball 1996 für Frauen erstmals olympisch. In der Schweiz beschlossen SDFL und SFV 1993 die Auflösung der Damenfussball-Liga und die vollständige Einbindung des Frauenfussballs in die SFV-Regionalverbände; die Bezeichnung Damenfussball-Club (DFC) für Frauenteams wurde abgeschafft. Ab 1995 waren Mädchen in gemischten Teams zusammen mit Knaben in jedem SFV-Klub spielberechtigt. Spieldauer und Ballgrösse wurden dem Regelwerk des Männerfussballs angeglichen. Gleichzeitig gab es Bestrebungen, unabhängig zu agieren, doch kämpften Frauenfussballklubs häufig mit finanziellen Herausforderungen und schlossen sich nach kurzer Zeit oft professionellen Vereinen der Männer an. Am erfolgreichsten war der FFC Zürich Seebach beim FC Zürich, der nicht zuletzt dank der synergetischen Nutzung der Vereins- und Infrastrukturen als FC Zürich Frauen ab 2009 die Schweizer Meisterschaft dominierte. Alle Engagements für den weiblichen Fussball waren bis 2002, als beim SFV erstmals eine entlöhnte Stelle für Frauenfussball geschaffen wurde, ehrenamtlich. 2004 nahm sich der Verband mit dem ersten Ausbildungszentrum für Mädchen in Huttwil (ab 2013 in Biel) ernsthaft der weiblichen Nachwuchsförderung an.
10:1-Sieg der Schweizerinnen im Gruppenspiel gegen Ecuador an der Weltmeisterschaft in Kanada 2015. Beitrag in der Sendung Sport-Clip des Fernsehens der deutschen Schweiz vom 13. Juni 2015 (Schweizer Radio und Fernsehen, Zürich, Play SRF).
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Mit den regelmässigen Qualifikationen des Schweizer Nationalteams für die Welt- oder Europameisterschaftsendrunden begann 2015 eine sportliche und gleichstellungspolitische Konsolidierungsphase. Sie ging mit einer erhöhten Medienaufmerksamkeit sowie einer besseren Vermarktung einher. Auf Verbandsebene nahmen 2020 in der Geschäftsleitung (mit Tatjana Haenni) und 2024 im Zentralvorstand erstmals Frauen Einsitz. Zwischen 2022 und 2024 wurden einige Prämien für das Männer- und das Frauen-Nationalteam sowie Entschädigungen für Werbeeinnahmen durch Spieler und Spielerinnen aus diesen Teams angeglichen (Gleichstellung). 2024 verzeichneten zwei Freundschaftsspiele des Frauen-Nationalteams in Zürich mit über 14'000 bzw. 17’000 Fans Schweizer Publikumsrekorde.
Champions League Halbfinal: die Schweizer Verteidigerin Ana-Maria Crnogorcevic (links) im Einsatz für den FC Barcelona gegen den VfL Wolfsburg, Stadion Camp Nou, Barcelona, 22. April 2022 (KEYSTONE / AFP / Lluis Gene, Bild 517224047).
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Trotz solcher Erfolge blieb der Spielbetrieb lange in einem ökonomischen Teufelskreis gefangen: Die Matchs der höchsten Liga, die seit 2020 im Schweizer Fernsehen übertragen werden, verfolgten jeweils nur wenige hundert Fans in den Stadien. Geringe Publikumszahlen führten zu niedrigen Sponsoring- und Ticketerträgen sowie eingeschränkten Vermarktungsmöglichkeiten, was wiederum dem finanziellen Spielraum und der breiteren öffentlichen Aufmerksamkeit abträglich war. Das fehlende Geld wirkte sich ausserdem auf Infrastruktur, Trainings- und Reisebedingungen aus, was auch Leistung und Erfolg beeinflusste. Noch immer verdienen die meisten Berufsspielerinnen wenig und müssen neben dem Fussball einer Lohnarbeit nachgehen oder absolvieren eine Ausbildung. Langsame Veränderungen zeichnen sich seit den 2020er Jahren in der Fussballmedizin ab, die wie die Sportmedizin insgesamt stark männlich geprägt und auf den männlichen Körper ausgerichtet war, was unter anderem zu einem erhöhten Verletzungsrisiko für die Spielerinnen führte (ungeeignete Trainingsmethoden und Ausrüstungen). Mit der von derUefa ausgerichteten Women’s Euro 2025 konnte der SFV erstmals einen Grossanlass des internationalen Frauenfussballs in die Schweiz holen, der diesen ins mediale Rampenlicht rückt und der Fussballbewegung für Mädchen und Frauen weiter Auftrieb verleiht.
Fussball von Menschen mit Beeinträchtigung
Autorin/Autor:
Christian Koller
Von der medialen Öffentlichkeit wenig beachtet entwickelte sich der Behindertenfussball. Wie beim Behindertensport generell gingen die Gehörlosen voran. Bereits 1916 wurde der Taubstummen-Fussballklub Zürich gegründet. Im 1930 entstandenen Schweizerischen Gehörlosen Sportverband (seit 2020 Swiss Deaf Sport) wurde von Beginn weg Fussball gespielt, auch im internationalen Rahmen, zum Beispiel mit der Teilnahme an den Gehörlosen-Weltspielen 1931. Gehörlosenteams kickten zum Teil in den unteren Ligen des SFV. 1973 fand der erste Schweizer Cup im Gehörlosen-Männerfussball statt; ab den 1970er Jahren spielten gehörlose Frauen in eigenen Teams.
Spielszene mit dem Taubstummen-Fussballklub Zürich, um 1916. Bild aus dem von Eugen Sutermeister angelegten Fotoalbum Bilder aus der Taubstummenwelt Schweiz & Ausland (Schweizerisches Sozialarchiv, Zürich, F_5153-Fx-03-042).
Seit den 1950er Jahren organisierte sich auch der Sport für andere Beeinträchtigungsformen. 1960, im Jahr der ersten Paralympics, wurden der Schweizerische Verband für Invalidensport (SVIS, ab 1977 Schweizerischer Verband für Behindertensport SVBS, ab 2000 Plusport) und die Sportgruppenvereinigung des Schweizerischen Invaliden-Verbands (SIV, ab 2002 Procap Sport) gegründet. 1995 erfolgte die Gründung von Special Olympics Switzerland für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung und Mehrfachbeeinträchtigung, wobei Fussball mit über 800 Spielerinnen und Spielern 2023 zur wichtigsten Disziplin des Verbands gehörte und Teams aus der Schweiz wiederholt an den Special Olympics World Games vertreten waren. An den seit 1984 bestehenden verschiedenen Kategorien des paralympischenMännerfussballs gab es bislang hingegen keine Schweizer Beteiligung. Das Land ist aber Mitglied der internationalen Verbände des Rollstuhlfussballs und des Cerebralparese-Fussballs. Varianten des Rollstuhlfussballs bestehen seit den 1970er Jahren; 2011 entstand die Swiss Powerchair Football Association (Elektrorollstuhl), deren Team bereits im selben Jahr an der Weltmeisterschaft teilnahm. Im Blindenfussball bildete sich auf Initiative von Plusport und in Partnerschaft mit dem SFV 2018 ein erstes (geschlechtergemischtes) Team in Magglingen. Im Amputiertenfussball fand 2024 ein internationales Turnier in St. Gallen statt. Nicht präsent ist in der Schweiz der in Deutschland und Österreich praktizierte Sitzfussball.
Spielerinnen und Spieler der Brunau Stiftung Zürich Blau und des FC Appenzell posieren für ein Gruppenbild nach ihrem Match beim International Helvetia Cup, einem Fussballturnier für Inklusion von Menschen mit und ohne Beeinträchtigung, 9. August 2024, Stadion Gründenmoos in St. Gallen (KEYSTONE / Gian Ehrenzeller, Bild 623625789).
Schuler, Martin: «La dynamique géographique du sport d’élite suisse: le cas du football», in: Jaccoud, Christophe; Tissot, Laurent; Pedrazzini, Yves (Hg.): Sports en Suisse. Traditions, transitions et transformations, 2000, S. 125-149.
Kocher, Benno: «L’institutionnalisation du football féminin en Suisse: du conflit à l’intégration», in: Jaccoud, Christophe; Busset, Thomas (Hg.): Sports en formes. Acteurs, contextes et dynamiques d'institutionnalisation, 2001, S. 137-152.
Brändle, Fabian; Koller, Christian: Goal! Kultur- und Sozialgeschichte des modernen Fussballs, 2002, S. 207-232.
Meier, Marianne: «Zarte Füsschen am harten Leder...». Frauenfussball in der Schweiz 1970-1999, 2004.
Jung, Beat (Hg.): Die Nati. Die Geschichte der Schweizer Fussball-Nationalmannschaft, 2006.
Bosshard, Werner; Jung, Beat: Die Zuschauer der Schweizer Fussball-Nationalmannschaft, 2008.
Koller, Christian (Hg.): Sternstunden des Schweizer Fussballs, 2008.
David, Thomas; Bancel, Nicolas; Ohl, Fabien (Hg.): Le football en Suisse. Enjeux sociaux et symbolique d'un spectacle universel, 2009.
Guggisberg, Philippe (Hg.): 75 Jahre Swiss Football League – National-Liga SFV, 2009.
Poli, Raffaele; Berthoud, Jérôme et al.: Football et intégration. Les clubs de migrants albanais et portugais en Suisse, 2012.
Christian Koller; Marianne Meier: "Fussball", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 16.06.2025. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/048188/2025-06-16/, konsultiert am 14.07.2025.