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Schweizerischer Verband für Frauenstimmrecht (SVF)

Schweizerischer Verband für Frauenrechte (SVF)

Der Schweizerische Verband für Frauenstimmrecht wurde 1909 unter anderen von Pauline Chaponnière-Chaix, Camille Vidart und Auguste de Morsier gegründet. 1971 erfolgte seine Umbenennung in Schweizerischer Verband für Frauenrechte.

Delegiertenversammlung des Schweizerischen Verbands für Frauenstimmrecht im solothurnischen Kantonsratssaal am 3. Juni 1967 (KEYSTONE/Photopress / M. Lörtscher, Bilder 101101212 und 101101230).
Delegiertenversammlung des Schweizerischen Verbands für Frauenstimmrecht im solothurnischen Kantonsratssaal am 3. Juni 1967 (KEYSTONE/Photopress / M. Lörtscher, Bilder 101101212 und 101101230). […]

An der Forderung nach vollständiger Gleichstellung mit den Männern in Bezug auf die politischen Rechte schieden sich innerhalb der Frauenbewegung und im lebhaften feministischen Milieu (Feminismus) am Anfang des 20. Jahrhunderts die Geister. Eine Mehrheit der Aktivistinnen strebte aus taktischen Gründen nur eine partielle Erlangung der politischen Rechte an, wobei sie sich auf den Rat des Staatsrechtlers Carl Hilty berief. Inspiriert von der internationalen Frauenstimmrechtsbewegung, entstanden ab 1905 auch in den grossen schweizerischen Städten Stimmrechtsvereine, die 1909 den SVF als Organ auf Bundesebene ins Leben riefen. Über seine Mitgliederorganisationen vereinte der Verband eine erdrückende Mehrheit der Vorkämpferinnen für das Frauenstimmrecht. Diese waren oft ledig, verfügten über einen Universitätsabschluss (Dozentinnen, zunehmend auch Juristinnen) und arbeiteten als Angestellte. Sie entstammten überwiegend dem liberalen, protestantischen und vor allem städtischen Bürgertum und wurden auch von einigen Männern, darunter Politikern, unterstützt. Die Mitgliederzahl war zwar nie sehr hoch (765 Frauen 1909), aber diese Aktivistinnen verfügten über wichtige Netzwerke dank ihrer Verbindungen zur politischen Elite und ihrer vielfältigen Mitarbeit in anderen Frauenorganisationen. Die grosse Nähe des SVF zu vielen politischen Entscheidungsträgern öffnete den Zugang zu wichtigen Informationsquellen. Gleichzeitig engte sie aber auch die Handlungsspielräume des Verbands ein, weil sie zur Rücksichtnahme gegenüber den männlichen Verbündeten zwang. Um die Einführung des Frauenstimmrechts zu begründen, stützte sich der SVF von seiner Gründung an sowohl auf Argumente eines egalitären wie auch auf solche eines dualistischen Geschlechterverhältnisses (Geschlechterrollen). Obwohl der Verband die Zulassung der Frauen zum Wahlkörper allein aufgrund einer Neuinterpretation des Artikels 4 der Bundesverfassung für möglich hielt und diese unter der Ägide von Antoinette Quinche auch verlangte, fand er sich letztendlich doch mit der von seinen Verbündeten aus der politischen Männerwelt und auch von vielen Frauenorganisationen favorisierten Strategie ab, die auf eine schrittweise Eroberung der politischen Rechte abzielte.

Stand des Schweizerischen Verbands für Frauenstimmrecht an der Ausstellung für Frauenarbeit (Saffa) in Bern. Glasdiapositiv, 1928 (Staatsarchiv Bern, Fonds V Frauenzentrale 223).
Stand des Schweizerischen Verbands für Frauenstimmrecht an der Ausstellung für Frauenarbeit (Saffa) in Bern. Glasdiapositiv, 1928 (Staatsarchiv Bern, Fonds V Frauenzentrale 223). […]

Bei seinem Einsatz für die Einführung des Frauenstimmrechts durchlebte der SVF ein Wechselbad von Hoffnungen und Enttäuschungen. Nach dem 1. Weltkrieg gab er sich der Illusion hin, dass die von den Frauen erbrachten Leistungen belohnt werden würden. Deshalb unterstützte er die sozialdemokratischen Vorstösse für das Frauenstimmrecht und engagierte sich in den Abstimmungskämpfen in mehreren Kantonen wie etwa in Genf, wo dem Volk 1920 eine entsprechende Vorlage unterbreitet wurde. Nach dem Scheitern dieser Vorstösse wandte sich der Verband anderen Sachfragen wie der Anerkennung der Frauenarbeit zu. Der Erfolg der ersten Saffa 1928 entfachte das Engagement des Verbands für Frauenstimmrecht neu. 1929 lancierte er zusammen mit Sozialdemokratinnen eine entsprechende Petition auf Bundesebene; trotz grosser Unterstützung – die Petition wurde von 249'237 Personen (darunter 170'397 Frauen und 78'840 Männer) unterschrieben – sah der Bundesrat aber keinerlei Anlass für eine Reaktion. Der Verband bzw. dessen Aktivistinnen brachten sich auch in internationale Organisationen ein, so fungierte Emilie Gourd als Sekretärin des Weltbunds für Frauenstimmrecht. In den 1930er Jahren beteiligte sich der SVF an neuen Versuchen zur Einigung der Frauenbewegung, die sich etwa in der Gründung der Arbeitsgemeinschaft Frau und Demokratie im Jahr 1934 niederschlugen. Der 2. Weltkrieg weckte neue Hoffnungen auf ein politisches Klima, das der Einführung des Frauenstimmrechts gewogen sei. Der SVF war 1945 federführend bei der Schaffung eines Schweizer Aktionskomitees für das Frauenstimmrecht und kämpfte auch in vorderster Reihe für mehrere kantonale Vorlagen zwischen 1940 und 1951, die aber alle an der Urne scheiterten. 1957 wehrten sich der Bund Schweizerischer Frauenorganisationen und der diesem 1949 beigetretene SVF gegen Pläne des Bundesrats, die Schweizerinnen mittels eines Obligatoriums in den Zivilschutz einzubinden, mit dem Argument, dass erst das Frauenstimmrecht realisiert werden müsse, bevor den Frauen neue Lasten aufgebürdet würden. Der SVF engagierte sich dann im Abstimmungskampf 1959 für die vom Bundesrat ausgearbeitete Vorlage zur Einführung des Frauenstimmrechts, die auf eidgenössischer Ebene scheiterte, den Weg aber für die Annahme paralleler Vorstösse auf kantonaler Ebene frei machte, die ebenfalls zur Abstimmung kamen. In der Folge rückte der SVF die politische Bildung der Frauen in den Vordergrund seiner Bemühungen.

Ansteckpin des Schweizerischen Verbands für Frauenrechte zur Abstimmungskampagne für das neue Eherecht, um 1984 (Schweizerisches Sozialarchiv, Zürich, F Ob-0002-014).
Ansteckpin des Schweizerischen Verbands für Frauenrechte zur Abstimmungskampagne für das neue Eherecht, um 1984 (Schweizerisches Sozialarchiv, Zürich, F Ob-0002-014). […]

Als der Bundesrat Ende der 1960er Jahre die Europäische Menschenrechtskonvention ratifizieren wollte, obwohl das Frauenstimmrecht in der Schweiz noch nicht verwirklicht war, prangerte der Verband die Inkonsistenz dieses Vorhabens an. Im Zug der Achtundsechziger Bewegung griffen gleichzeitig die Exponentinnen der neuen Frauenbefreiungsbewegung den konsensualen Kurs der älteren Frauenorganisationen und vor allem des SVF heftig an. Diese Kritik stärkte die Motivation der Aktivistinnen wieder und gab unter anderem den Anstoss für den Marsch auf Bern 1969, einer Demonstration auf dem Bundesplatz. Nachdem das Frauenstimmrecht auf Bundesebene 1971 realisiert worden war, setzte sich der SVF in den letzten Kantonen, die den Frauen dieses Recht immer noch verweigerten, weiter für dessen Einführung ein. Er wechselte seinen Namen und richtete sich inhaltlich neu aus, indem er sich mehr auf die Förderung des politischen Engagements von Frauen und auf die Gleichstellung in Wirtschaft und Gesellschaft konzentrierte.

Präsidentinnen des Schweizerischen Verbands für Frauenstimmrecht

1909-1912Auguste de Morsier
1912-1914Louise von Arx-Lack
1914-1928Emilie Gourd
1928-1940Annie Leuch-Reineck
1940-1952Elisabeth Vischer-Alioth
1952-1959Alix Choisy-Necker
1959-1960Gertrud Heinzelmann
1960-1968Lotti Ruckstuhl
1968-1977Gertrud Girard-Montet
1977-1981Olivia Egli-Delafontaine
1981-1988Christiane Langenberger-Jaeger
1989-1993Ursula Nakamura/Simone Chapuis-Bischofa
1993-1997Simone Chapuis-Bischof 
1997-2009Jessica Kehl-Lauf
  
 Seit 2010 übernimmt im Turnus eine kantonale Sektion für 2 Jahre das
Präsidium.

a Co-Präsidium

Präsidentinnen des Schweizerischen Verbands für Frauenstimmrecht – Redaktion

Quellen und Literatur

  • Archiv Gosteli-Foundation, Worblaufen.
  • Schweizerisches Sozialarchiv, Zürich, Ar 29.
  • Schweizerisches Wirtschaftsarchiv, Basel.
  • Morsier, Auguste de: Pourquoi nous demandons le Droit de Vote pour la Femme. Simple exposé de la question, 1912.
  • Gourd, Emilie: A travail égal, Salaire égal. D'après une enquête faite par l'Association suisse pour le Suffrage féminin (1917-1918), 1919.
  • Schweizerischer Verband für Frauenstimmrecht (Hg.): Das Frauenstimmrecht in der Schweiz. Tatsachen und Auskünfte, 1950.
  • Woodtli, Susanna: Gleichberechtigung. Der Kampf um die politischen Rechte der Frau in der Schweiz, 19832.
  • Escher, Nora: Entwicklungstendenzen der Frauenbewegung in der deutschen Schweiz, 1850-1918/19, 1985.
  • Joris, Elisabeth; Witzig, Heidi (Hg.): Frauengeschichte(n). Dokumente aus zwei Jahrhunderten zur Situation der Frauen in der Schweiz, 1986.
  • Ruckstuhl, Lotti: Frauen sprengen Fesseln. Hindernislauf zum Frauenstimmrecht in der Schweiz, 1986.
  • Mesmer, Beatrix: Ausgeklammert-eingeklammert. Frauen und Frauenorganisationen in der Schweiz des 19. Jahrhunderts, 1988.
  • Hardmeier, Sibylle: Frühe Frauenstimmrechtsbewegung in der Schweiz (1890-1930). Argumente, Strategien, Netzwerk und Gegenbewegung, 1997.
  • Voegeli, Yvonne: Zwischen Hausrat und Rathaus. Auseinandersetzungen um die politische Gleichberechtigung der Frauen in der Schweiz 1945-1971, 1997.
  • Weilenmann, Claudia (Hg.): Femmes, pouvoir, histoire. Evénements de l'histoire des femmes et de l'égalité des sexes en Suisse de 1848 à 1998, 2 Bde., 1998-1999.
  • Gosteli, Marthe: Vergessene Geschichte. Illustrierte Chronik der Frauenbewegung 1914-1963, 2 Bde., 2000.
  • Mesmer, Beatrix, Staatsbürgerinnen ohne Stimmrecht. Die Politik der schweizerischen Frauenverbände 1914-1971, 2007.
  • Schweizerischer Verband für Frauenrechte (Hg.): Der Kampf um gleiche Rechte, 2009.

 

 

Zitiervorschlag

Zoé Kergomard: "Schweizerischer Verband für Frauenstimmrecht (SVF)", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 12.06.2019, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/058044/2019-06-12/, konsultiert am 19.03.2024.