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WillyLeuzinger

4.5.1878 Rapperswil (SG),  5.9.1935 Rapperswil, reformiert, von Netstal. Kinopionier, der zwischen Bodensee und Gotthard mehrere Kinotheater führte (Kino), mit einem Wanderkino unterwegs war und für sein Programm Kurzfilme von lokalen Ereignissen drehte (Film).

Porträt von Willy Leuzinger. Fotografie, um 1928 (Firmenarchiv Leuzinger, Marianne Hegi, Rapperswil).
Porträt von Willy Leuzinger. Fotografie, um 1928 (Firmenarchiv Leuzinger, Marianne Hegi, Rapperswil).

Willy Leuzinger, der Sohn des Wagenmeisters Wilhelm Leuzinger und der Anna geborene Heer, absolvierte in Rapperswil die Schulen und eine Mechanikerlehre. 1899 heiratete er Mathilde Hofer, die Tochter des Johann Jakob Hofer und der Elisabeth geborene Dietiker, mit der er vier Kinder hatte: Mathilde, Wilhelm, Anna und Martha Leuzinger. 1901 wurde er Gastwirt in Rapperswil, wo er 1905 das Gasthaus Zum Hecht kaufte. Leuzinger war ein aktiver Kunstturner, 1901 Präsident und 1902-1912 Oberturner des Turnvereins Rapperswil. Der Turnbewegung blieb er zeitlebens verbunden. Zu seinem Freundeskreis gehörte die in Rapperswil ansässige Zirkusfamilie Knie.  

Willy Leuzinger (links) und Georg Winner (Mitte) posieren mit ihren Kameras für dieses Gruppenfoto mit Offiziellen eines Turnfestes, um 1927 (Firmenarchiv Leuzinger, Marianne Hegi, Rapperswil).
Willy Leuzinger (links) und Georg Winner (Mitte) posieren mit ihren Kameras für dieses Gruppenfoto mit Offiziellen eines Turnfestes, um 1927 (Firmenarchiv Leuzinger, Marianne Hegi, Rapperswil).

Erste Filmabende im Hecht sollen schon 1906 stattgefunden haben, dokumentiert sind sie ab 1909. Leuzinger führte 1910-1913 im Hecht ein Kinotheater, Ende 1913-1926 im Schwanen, ab Ende 1926 wiederum im zum neuen Schloss-Kino umgebauten Hecht. Weitere Kinosäle bespielte Leuzinger 1912-1914 in Wädenswil, 1918 in Rüti (ZH), ab 1921 in Buchs (SG) und ab 1925 im Winterhalbjahr im Tellspielhaus Altdorf (UR). Nach dem Ersten Weltkrieg expandierte er ins fahrende Gewerbe. Das Unternehmen bereiste 1919-1942 mit Zeltkinematografen die Nordost- und Zentralschweiz (gegen 70 Gastspielorte in zwölf Kantonen) und betrieb 1923-1930 zwei Kinozelte mit 300 bzw. 600 Plätzen, die samt der Projektionskabine auf Eisenbahnwagons transportiert wurden. Mehrfach wechselte es seinen Namen, von Schweizer National-Cinema W. Leuzinger (1919-1924) über Cinema W. Leuzinger (1925-1931) zu Leuzinger’s Tonfilmcinema (ab 1931).  

Leuzingers Wanderkino gastiert über Pfingsten, vom 9. bis 12. Juni 1924, in Bütschwil (SG). Fotografie von N. Rüegg aus Bütschwil (Firmenarchiv Leuzinger, Marianne Hegi, Rapperswil).
Leuzingers Wanderkino gastiert über Pfingsten, vom 9. bis 12. Juni 1924, in Bütschwil (SG). Fotografie von N. Rüegg aus Bütschwil (Firmenarchiv Leuzinger, Marianne Hegi, Rapperswil). […]

Das Familienunternehmen beruhte weitgehend auf der selbstständigen Arbeit der Töchter Mathilde, Anna und Martha, während der Sohn Wilhelm krankheitsbedingt nur für kurze Zeit mithalf. Indem es sämtliche mobilen und festen Formen von Kinoaufführungen nutzte, bot es den Menschen in ländlichen Gebieten zwischen Bodensee und Gotthard Zugang zum wichtigsten Unterhaltungsmedium der Zeit. Konzentrierten sich Mathilde und Anna zusammen mit Leuzinger auf die Orts- und Zeltkinos, übernahm Martha zwischenzeitlich die Durchführung einer grossen Saaltournee mit Fred Niblos Monumentalfilm und Kassenschlager Ben Hur von 1925. Unterwegs mit dem Auto machte sie in Begleitung des Filmvorführers Ernst Fritz von März 1929 bis Mai 1931 an mindestens 110 Spielorten für über 420 Aufführungen Halt. Nach Leuzingers Tod 1935 übernahm die älteste Tochter Mathilde die Geschäftsführung, 1980 ging der Älteste unter den bestehenden Kinobetrieben an die Enkelin Marianne Hegi-Strickler über. 

Aufmarsch der 72 Mann von Turnverein und Männerriege Rapperswil zu den Pyramiden. 35-mm-Stummfilm von Willy Leuzinger, 1927 (Cinémathèque suisse, Filmsammlung Cinema Leuzinger, Signatur 24; Konsultativkopie Memobase ID CS-08_1).
Aufmarsch der 72 Mann von Turnverein und Männerriege Rapperswil zu den Pyramiden. 35-mm-Stummfilm von Willy Leuzinger, 1927 (Cinémathèque suisse, Filmsammlung Cinema Leuzinger, Signatur 24; Konsultativkopie Memobase ID CS-08_1). […]

1920-1929 drehten Leuzinger und der Kameramann Georg Winner im Tourneegebiet rund hundert Filme, die als Aktualitäten im Beiprogramm gezeigt wurden. Erhalten sind 75 Titel mit einer Spieldauer von insgesamt zehn Stunden. Abgesehen von einigen unveröffentlichten Familienfilmen sowie zwei abendfüllenden Filmen der Eidgenössischen Turnfeste St. Gallen 1922 und Luzern 1928, die landesweit an Turnvereinssektionen verliehen wurden, handelte es sich um aktuelle Kurzbeiträge über lokale Ereignisse. Die Aufnahmen von Jahrmärkten, Ortsfesten, Beerdigungen und Sportanlässen bilden bedeutende historische Dokumente des öffentlichen Lebens dieser Regionen. Im Rahmen eines Projekts von Memoriav, dem Verein zur Erhaltung des audiovisuellen Kulturgutes der Schweiz, wurden die Filme zwischen 1998 und 2006 erschlossen, konserviert und restauriert.

Quellen und Literatur

  • Cinémathèque suisse. Centre de recherche et d'archivage, Penthaz, Filmsammlung Cinema Leuzinger.
  • Firmenarchiv Leuzinger, Rapperswil.
  • Lewinsky, Mariann: «Schweizer National-Cinema Leuzinger, Rapperswil (SG). Aktualitätenfilmproduktion und regionale Kinogeschichte der Zentral- und Ostschweiz 1896-1945», in: KINtop. Jahrbuch zur Erforschung des frühen Films, Bd. 9, 2000, S. 63-82.
  • Lewinsky, Mariann: «Der Turnverein als Medium. Ein Album mit Filmbildern der Produktion W. Leuzinger», in: Cinema, 48, 2003, S. 23-45.
Weblinks
Kurzinformationen
Variante(n)
Wilhelm Leuzinger (Taufname)
Familiäre Zugehörigkeit
Lebensdaten ∗︎ 4.5.1878 ✝︎ 5.9.1935

Zitiervorschlag

Mariann Lewinsky Sträuli: "Leuzinger, Willy", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 15.01.2021. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/059572/2021-01-15/, konsultiert am 28.03.2024.