Obwohl die Schweiz weder eine Seefahrernation war, noch über Kolonien (Kolonialismus) verfügte, betätigten sich Schweizer Kaufleute seit der frühen Neuzeit erfolgreich im Handel mit Destinationen in Übersee. Die frühe Industrialisierung, die Verschonung von den beiden Weltkriegen, eine unternehmensfreundliche Steuerpolitik und der international ausgerichtete schweizerische Finanzplatz sorgten dafür, dass sich die Schweiz bis ins 21. Jahrhundertzu einem der weltweit wichtigsten Rohstoffhandelsplätze entwickelte (Transithandel).
Während ältere Untersuchungen einen nationalgeschichtlich ausgerichteten Fokus aufwiesen und sich damit beschäftigten, welche Rolle der Überseehandel für die Entwicklung der schweizerischen Industrie spielte, betrachten jüngere Studien die Geschäfte der Schweizer Unternehmen vor dem Hintergrund globaler Ungleichheiten (Globalisierung). Breit diskutiert werden dabei die Beziehungen von Schweizer Produktions- und Handelsfirmen zum transatlantischen Sklaven- bzw. Dreieckshandel.
Kacheln eines Turmofens aus der Winterthurer Ofenwerkstatt Pfau, Bemalung wohl von David Sulzer, um 1700 (Privatbesitz; Fotografie Andreas Heege, Zug, 2022).
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Schweizerischer Überseehandel und europäische Expansion
Autorin/Autor:
Christof Dejung
Im 18. Jahrhundert waren der hohe Qualitätsstandard der protoindustriellen Textilproduktion (Protoindustrialisierung), die frühe Industrialisierung sowie der kleine Heimmarkt dafür verantwortlich, dass Schweizer Unternehmer ihre Produkte zunehmend auf dem Weltmarkt absetzten (Aussenwirtschaft). Ausserdem waren Kaufleuteaus der heutigen Schweiz bereits ab dem späten 17. Jahrhundert in Hafenstädten wie Bordeaux, Neapel, Livorno und Genua am Überseehandel beteiligt. Da ihnen der europäische Markt aufgrund der protektionistischen Wirtschaftspolitik (Merkantilismus) vieler Staaten verschlossen blieb, begannen die Schweizer Textil- und Uhrenfabrikanten (Textilindustrie, Uhrenindustrie), ihre Produkte nach Übersee zu exportieren. Um 1845 gingen 40-50% der schweizerischen Exporte nach Nord- und Südamerika und 15-20% nach Asien und in den Nahen Osten (Exportwirtschaft).
Für ihre Exporte pflegten die Schweizer Fabrikanten Geschäftsbeziehungen mit Handelsunternehmen in den jeweiligen Hafenstädten. Zum Teil wurden diese Handelshäuser von Schweizer Kaufleuten geführt, in vielen Fällen handelte es sich um ausländische Firmen, mit denen die Schweizer Industrieunternehmen über schweizerische Kaufleute in Kontakt kamen. Die Produzenten waren auf diese Kontakte angewiesen, um bei Absatzproblemen rechtzeitig die eigene Produktion drosseln zu können oder um zu erfahren, welche Farben und Muster an den wichtigen Handelsplätzen gerade angesagt waren.
Clipper ship «Ida Ziegler»,900 tons. Kolorierte Lithographie von Thomas Goldsworthy Dutton, am 18. Juli 1863 in London bei William Foster veröffentlicht, 42,6 x 54,8 cm (University of Otago, Dunedin, Hocken Collections, Inv. 7359).
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Die überseeischen Aktivitäten der schweizerischen Handelshäuser waren häufig eng verknüpft mit der Ausweitung der europäischen Kolonialherrschaft. So war diebis 1917 von der Basler Mission geführte Basler Handelsgesellschaft in der Goldküste (Ghana) in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Teil eines Kartells europäischer Handelshäuser, das aufstrebende afrikanische Kaufleute daran hinderte, Kakao nach Europa zu verschiffen. Schweizer Kaufleute in der Levante wiederum waren ab dem späten 19. Jahrhundert als Konsuln für europäische Grossmächte tätig und profitierten vom Druck, den diese auf das Osmanische Reich ausübten. Auch in Asien tätige Schweizer Handelsfirmen wie Gebrüder Volkart (gegründet 1851 in Winterthur und Bombay), Siber & Brennwald (gegründet 1865 in Yokohama) oder Diethelm & Co. (gegründet 1887 in Singapur) profitierten davon, dass die kolonialen Mächte Ende des 19. Jahrhunderts weite Teile der Erde mit Gewalt für den Welthandel geöffnet hatten (sogenannter Sekundärimperialismus).
Zudem beteiligten sich vor dem Verbot der Sklaverei Unternehmer aus Basel, Neuenburg, Genf, Zürich oder Bern am Dreieckshandel zwischen Europa, Afrika sowie Nord- und Südamerika oder betrieben eigene Plantagen. Beim Dreieckshandel wurden in den Kolonien produzierte Rohstoffe nach Europa gebracht, wo sie verarbeitet wurden. Europäische Konsumgüter wie bedruckte Textilien (v.a. die beliebten Indiennes) oder Waffen gingen anschliessend über Häfen wie Nantes, Bordeaux, Cadiz oder Lissabon nach Westafrika, wo man sie gegen afrikanische Sklavinnen und Sklaven eintauschte, die wiederum über den Atlantik verschifft und als Arbeitskräfte an die Plantagenbesitzer verkauft wurden. Da die Produktion von Zucker, Kaffee und Baumwolle in der Karibik, in Brasilien und den Vereinigten Staaten von Amerika auf Sklavenarbeit beruhte, stand ein Engagement im Atlantikhandel bis Mitte des 19. Jahrhunderts fast zwangsläufig in Zusammenhang mit der Sklaverei.
Konzentrationsprozess im 19. Jahrhundert
Autorin/Autor:
Christof Dejung
Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts erfolgte im Fernhandel eine fundamentale Umwälzung durch den Bau von Eisenbahn- und Telegrafenlinien und den Durchbruch der industriellen Produktion. Bis dahin war der Fernhandel meist durch kleinere und mittlere Handelshäuser betrieben worden, die eine breite Produktpalette im Angebot hatten, welche von Schmuck und Textilwaren bis hin zu Zucker, Gewürzen und Baumwolle reichte. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden Rohstoffe wie Baumwolle, Getreide, Kaffee oder Kakao durch spezialisierte Importeure nach Europa eingeführt, die Skalenerträge erzielen mussten, um konkurrenzfähig zu bleiben.
Die Etablierung von Qualitätsstandards erlaubte es diesen Firmen, ihre Waren telegrafisch an europäische Fabriken zu verkaufen. Ausserdem konnten durch diese Standardisierung die Rohstofftransaktionen mit Termingeschäften an den internationalen Rohstoffbörsen gegen Preisänderungen abgesichert werden (Preise). Zur Sicherung der Produktqualität gründeten viele Handelsfirmen Einkaufsagenturen im Landesinnern, um die Rohstoffe auf lokalen Märkten oder direkt von den Pflanzern aufzukaufen. Diese Rückwärtsintegration war möglich geworden, nachdem die Anbaugebiete durch Eisenbahnlinien direkt mit den Küstenstädten verbunden worden waren, von wo die Güter in die Industrieländer verschifft wurden. Grössere Handelshäuser verfügten dabei über eine Kundschaft, die weit über ihr eigenes Herkunftsland hinausging. Gebrüder Volkart etwa, im 20. Jahrhundert eines der grössten Schweizer Handelshäuser, besass in den 1920er Jahren über 150 Verkaufsagenturen in 18 europäischen Ländern sowie Tochtergesellschaften in Osaka, Shanghai, Singapur und New York.
Da der Rohstoffhandel durch die Gründung von Einkaufs- und Verkaufsagenturen sowie die Steigerung der Umsätze äusserst kapitalintensiv geworden war, wurde Ende des 19. Jahrhunderts der überwiegende Teil desselben weltweit durch einige grosse Firmen abgewickelt (Kapitalverkehr). Dazu gehörten Schweizer Firmen wie André & Cie. (André), die Basler Handelsgesellschaft, Gebrüder Volkart, Geilinger & Blum bzw. Paul Reinhart & Cie., Simonius, Vischer & Co., Diethelm & Co., Ed. A. Keller und Siber & Brennwald. Wie bei multinationalen Handelshäusern in anderen Ländern auch wurden die Geschäfte in der Form des Transithandels abgewickelt; das heisst, die Waren wurden ohne Umweg über die Schweiz direkt von den Produktionsgebieten zu den Verbrauchern geliefert.
Geschäftssitze von Schweizer Handelshäusern in Asien im 19. Jahrhundert. Links: Gebrüder Volkart in Bombay, fotografiert von Jakob Brack zwischen 1871 und 1876 (Stadtarchiv Winterthur, STAW Dep 42/1807); rechts: Siber, Brennwald & Co. in Yokohama, Fotografie von 1885 (Privatsammlung, DKSH).
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Das Anwachsen des Handelsvolumens zog einen immer grösseren Kreditbedarf nach sich (Kredit), was in der Schweiz zu zahlreichen Bankgründungen führte (Banken). So entstanden verschiedene Zürcher Privatbanken in den 1830er Jahren im Umfeld des Rohseidenhandels (Seide). Auch die 1862 gegründete Bank in Winterthur, die 1912 mit der Toggenburger Bank zur Schweizerischen Bankgesellschaft (SBG) fusionierte, war im Wesentlichen eine Kreditbank für die aufstrebenden Winterthurer Handels- und Industrieunternehmen.
Mit der zweiten Industrialisierungswelle etablierten sich in der Schweiz ab 1850 zahlreiche Grossunternehmen in den Bereichen Maschinenindustrie, chemische Industrie und Nahrungsmittelindustrie. Während diese den Absatz in Europa oft durch eigene Vertretungen abwickelten und ab der Wende zum 20. Jahrhundert auch zunehmend Produktionsanlagen im europäischen Ausland gründeten (Fabrik), wurde der Vertrieb in Übersee häufig über dort niedergelassene Handelsfirmen vorgenommen.
Veränderungen im 20. und 21. Jahrhundert
Autorin/Autor:
Christof Dejung
Auch im 20. Jahrhundert spielten im Überseehandel tätige Firmen eine wichtige Rolle als Rohstoffzulieferer in die Industrieländer oder als Vermittler bei Exporten von technischen Grossanlagen. Je nach Firmenphilosophie, geschäftlicher Ausrichtung oder geografischem Schwerpunkt konnten die Handelshäuser verschiedene Entwicklungspfade einschlagen.
Suchard-Postkarten aus dem ersten Viertel des 20. Jahrhunderts. Links: Handelsreisende mit einer Wasserpfeife, 10 x 13,5 cm; rechts: Vorderseite des Lebensmittelgeschäfts Bérenguier in Sétif, 1913, 12,3 x 17,4 cm (Musée d’art et d’histoire Neuchâtel, ST 3163.108 und ST 744.713).
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Die Firma Volkart etwa legte den geschäftlichen Schwerpunkt stets auf den Rohstoffhandel und wurde im 20. Jahrhundert zu einer der weltweit bedeutendsten Baumwoll- und Kaffeehandelsfirmen, bevor sie sich ab den 1980er Jahren aus dem Handelsgeschäft zurückzog. Dagegen entwickelte sich die aus der Marc-Rich-Gruppe hervorgegangene Firma Glencore zu Beginn des 21. Jahrhunderts von einem Rohstoffhändler mehr und mehr zu einem Bergbaukonzern (Bergbau, Bodenschätze). Das Handelshaus DKSH wiederum, das aus einer Fusion der Firmen Diethelm & Co., Ed. A. Keller und Siber Hegner hervorgegangen war, gab das eigentliche Handelsgeschäft gegen Ende des 20. Jahrhunderts auf und entwickelte sich zu einem Dienstleistungsunternehmen, das westliche Firmen bei Geschäften in Ost- und Südostasien berät.
Ab der Mitte des 20. Jahrhunderts siedelten sich immer mehr ausländische Rohstofffirmen in der Schweiz an. Steuervergünstigungen und die Nähe zum Finanzplatz sorgten dafür, dass Zug, Genf und Lugano zu Zentren des weltweiten Rohstoffhandels wurden. Zu den wichtigsten Firmen in diesem Bereich gehören Glencore, Cargill, Trafigura, Mercuria, Gunvor und Vitol. Ab der Jahrtausendwende erfuhr der Handelsplatz Schweiz einen nochmaligen Aufschwung. So stiegen die Nettoeinnahmen der Branche von 2 Mrd. im Jahr 2002 auf rund 25 Mrd. Franken im Jahr 2017. Die Schweiz gehörte zu Beginn des 21. Jahrhunderts mit einem Weltmarktanteil von teilweise über 50% zu den weltweit wichtigsten Drehscheiben des Handels mit Erdöl, Metallen und Agrarprodukten (Agrarmarkt).
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Zangger, Andreas: Koloniale Schweiz. Ein Stück Globalgeschichte zwischen Europa und Südostasien (1860-1930), 2011.
Dejung, Christof: Die Fäden des globalen Marktes. Eine Sozial- und Kulturgeschichte des Welthandels am Beispiel der Handelsfirma Gebrüder Volkart 1851-1999, 2013.
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Haller, Lea: Transithandel. Geld und Warenströme im globalen Kapitalismus, 2019.
Christof Dejung: "Überseehandel", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 16.04.2024. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/060534/2024-04-16/, konsultiert am 03.12.2024.