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GrisélidisRéal

11.8.1929 Lausanne, 31.5.2005 Genf, reformiert, von Rapperswil (SG), nach der Heirat von Genf. Malerin, Schriftstellerin, Dichterin und Prostituierte, Pionierin im Kampf um die Anerkennung von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern.

Grisélidis Réal, fotografiert von Suzi Pilet in Lausanne 1974 und von Magali Girardin in Genf 2001 (Schweizerisches Literaturarchiv, Bern, Fonds Grisélidis Réal, C-6-b/1).
Grisélidis Réal, fotografiert von Suzi Pilet in Lausanne 1974 und von Magali Girardin in Genf 2001 (Schweizerisches Literaturarchiv, Bern, Fonds Grisélidis Réal, C-6-b/1).

Als Tochter des Hellenisten Walter Real und der Galeristin Gisèle geborene Bourgeois verbrachte Grisélidis Réal die ersten Jahre ihrer Kindheit in Ägypten und Griechenland. Nach dem Tod des Vaters 1938 kehrte sie mit ihrer Mutter und den beiden jüngeren Schwestern in die Schweiz zurück, wo sie eine durch Tuberkulose beeinträchtigte Schulzeit durchlief. Sie lebte in einem Zürcher Pensionat, absolvierte dort die Kunstgewerbeschule und schloss 1949 mit einem Diplom als Dekorateurin ab. Anschliessend liess sie sich in Genf nieder und widmete sich der Seidenmalerei. 1950 heiratete sie den Graveur Sylvain Schimek, mit dem sie zwei Söhne hatte; 1956 liess sie sich von ihm scheiden. Zwei weitere Kinder, eine Tochter und ein Sohn, stammten von verschiedenen Vätern. Das Aufziehen der Kinder als alleinerziehende Mutter gestaltete sich oft schwierig.

Zu Beginn der 1960er Jahre zog sie mit ihrem Lebensgefährten und zwei der Kinder nach Deutschland, wo die Armut sie in die Prostitution zwang. 1963 folgte eine Verurteilung wegen Drogenhandels und eine siebenmonatige Haftstrafe in München. In dieser Zeit entstand ihr postum veröffentlichtes Gefangenentagebuch Suis-je encore vivante? (2008). Nach ihrer Ausweisung aus Deutschland kehrte Réal in die Schweiz zurück. Hier stellte sie ihre an Werke der Art Brut erinnernden, lebendig-bunten und figürlichen Bilder in Galerien aus. Sie lebte als Prostituierte in Genf und verfasste den Roman Erinnerungen einer Negerhure (deutsch 2008, französisch 1974) sowie Gedichtsammlungen in teilweise roher und direkter Sprache. Ferner pflegte sie einen regen Briefverkehr, insbesondere mit Maurice Chappaz, Bertil Galland, Suzi Pilet und Jean-Luc Hennig. 1975 nahm Réal an der «Revolution der Prostituierten» in Paris teil, die die Anerkennung der Sexarbeit forderte. Dies begründete den Beginn ihrer Arbeit als politische Aktivistin. Sie setzte sich fortan für die bedingungslose Freiheit von Körper und Geist ein und beteiligte sich 1982 an der Gründung des Vereins Aspasie in Genf (Frauenbewegung), der Prostituierte berät und unterstützt. 2008 wurden Materialien, die Réal während 30 Jahren zum Thema Sexarbeit gesammelt hatte, im Centre Grisélidis Réal – einem internationalen Dokumentationszentrum über Prostitution – untergebracht.

Als umstrittene Figur stand Grisélidis Réal in ständigem Widerspruch zu ihrem bürgerlich-calvinistischen Herkunftsmilieu und wurde nicht müde, die Verlogenheit einer Gesellschaft, die die Prostitution verurteilte, anzuprangern. Réal wurde 2009 trotz heftiger Widerstände ihrem letzten Wunsch entsprechend auf dem Cimetière des Rois an der Seite anderer berühmter Genfer Persönlichkeiten beigesetzt.

Quellen und Literatur

  • Réal, Grisélidis: La Passe imaginaire, 1992 (20062).
  • Réal, Grisélidis: Carnet de bal d’une courtisane, suivi de Petite chronique des courtisanes & autres textes, 2005.
  • Réal, Grisélidis: Les Sphinx, 2006.
  • Réal, Grisélidis: Erinnerungen einer Negerhure. Autobiografischer Roman, 2008 (französisch 1974).
  • Réal, Grisélidis: Suis-je encore vivante? Journal de prison, 2008.
  • Réal, Grisélidis: Chair vive. Poésies complètes, 2022 (Vorwort von Nancy Huston).
  • Hennig, Jean-Luc: Grisélidis courtisane, 1981 (20112).
  • Koliopanos, Yagos: Prostitution et littérature. L'œuvre subversive de Grisélidis Réal, Masterarbeit, Ecole des hautes études en sciences sociales de Paris, 2015.
  • Zouyene, Jehane: Grisélidis Réal, peintre. Catalogue raisonné, 2016.
  • Simon, David: «Grisélidis Réal», in: Montebello, Caroline; Piguet, Laure (Hg.): 100Elles*. Pour une féminisation de la mémoire collective genevoise, 2020, S. 80.
  • Grisélidis Réal, 2022 (Quarto, 50).
Weblinks
Normdateien
GND
Kurzinformationen
Variante(n)
Grisélidis Real (Geburtsname)
Lebensdaten ∗︎ 11.8.1929 ✝︎ 31.5.2005

Zitiervorschlag

Sabine Lorenz-Schmidt: "Réal, Grisélidis", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 19.06.2023, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/060851/2023-06-19/, konsultiert am 16.05.2025.