9.6.1875 Basel, 10.6.1954 Basel, reformiert, von Basel. Schneiderin sowie nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs Krankenschwester, Flüchtlingshelferin, politische Aktivistin und Initiantin der sogenannten Kinderzüge in die Schweiz.

Mathilde Paravicini war die jüngste von fünf Töchtern des Emanuel Leonhard Paravicini, Kaufmanns und Eisenwerkbesitzers, und der aus einer wohlhabenden Familie stammenden Elise geborene Heusler. Als der Vater nach dem Konkurs seines Unternehmens 1883 einen Grossteil des Vermögens verlor, sorgte er für die Berufsausbildung seiner Töchter, um ihnen ein eigenständiges Auskommen zu ermöglichen. Mathilde Paravicini, die unverheiratet und kinderlos blieb, verbrachte einige Jahre in Paris und absolvierte eine Lehre als Schneiderin.
Zurück in Basel, eröffnete Paravicini 1898 ein Schneideratelier, in dem sie während rund 40 Jahren Handarbeitskurse für Frauen anbot. Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs kümmerte sie sich als Krankenschwester um geflüchtete Frauen, Kinder und ältere Menschen (Humanitäre Hilfe): 1914-1916 betreute sie die französischen Flüchtlinge in Schaffhausen; 1917-1918 engagierte sie sich mit Unterstützung ihrer Schülerinnen auch in Basel für die Geflüchteten und war unter anderem Vorstandsmitglied des Organisationskomitees für die Evakuationszüge aus dem besetzten Frankreich. Daneben präsidierte sie 1916 die neu gegründete Vereinigung für Frauenstimmrecht Basel und Umgebung (Frauenstimmrecht). 1917 holte sie die ersten erschöpften Kinder aus den Kriegsgebieten in sogenannten Kinderzügen für dreimonatige Erholungsaufenthalte in Pflegefamilien und Heimen in die Schweiz und initiierte anschliessend die Gründung des Vereins Schweizerhilfe, Ferienaktion für Auslandschweizerkinder, der die Aufenthalte finanzierte.

In den 1920er Jahren organisierte Paravicini zusammen mit der Pro Juventute weitere Kinderzüge für Tausende von Kindern aus ganz Europa. 1921 gründete sie in Basel ein Bahnhofswerk der Freundinnen junger Mädchen (FJM), das sie bis an ihr Lebensende leitete. In Zusammenarbeit mit dem Comité suisse d'aide aux enfants d'émigrés (ab 1935 Schweizer Hilfswerk für Emigrantenkinder, SHEK) brachte sie 1934-1939 rund 5000 – mehrheitlich mit ihren Familien vor den Nationalsozialisten nach Frankreich geflüchtete – jüdische Kinder vorübergehend in der Schweiz unter und setzte sich mit Georgine Gerhard, Frauenrechtlerin und Gründerin der Basler Sektion des SHEK, bei Völkerbund und Bundesrat vergebens für die Rechte der Flüchtlinge ein. 1939 gehörte sie zu den Gründerinnen des Frauenhilfsdiensts (FHD). Ab 1940 holte Paravicini zuerst mit Unterstützung der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für kriegsgeschädigte Kinder und ab 1942 mit der Kinderhilfe des Schweizerischen Roten Kreuzes mehrere Tausend französische Kinder zur Erholung ins Land. Sie sorgte auch für die ausländischen jüdischen Kinder und Jugendlichen, die trotz des von den Schweizer Behörden erlassenen Einreiseverbots (Antisemitismus) die Kriegsjahre legal oder illegal in der Schweiz verbringen konnten. 1944-1948 leitete sie die Kinderzüge der Schweizer Spende an die Kriegsgeschädigten für junge Kriegsopfer aus ganz Europa. Paravicini arbeitete bis zu ihrem letzten Lebenstag und verstarb 1954 unerwartet in Basel.
Mathilde Paravicini, die auch als «Mutter der Ärmsten» apostrophiert wurde, erhielt für ihren humanitären Einsatz zahlreiche Würdigungen. 1919 ernannte sie die französische Regierung zur Ritterin der Ehrenlegion; das sogenannte Franzosen-Denkmal, das Frankreich der Stadt Schaffhausen 1922 als Dank für die Hilfe an den rund 286’000 im Ersten Weltkrieg Geflüchteten schenkte, stellt sie als Helferin dar. 1942 erhielt Paravicini als erste Frau den Ehrendoktortitel der Medizinischen Fakultät der Universität Basel, 1946 wurde sie zur Offizierin der Ehrenlegion erhoben. 1964 benannte die Stadt Basel die Mathilde Paravicini-Strasse nach ihr – die erste Basler Strasse, die einen Frauennamen erhielt.
