28.6.1897 Basel, 15.2.1975 Sitten, reformiert, später zum Katholizismus konvertiert, von Basel. Pionierin der ausserfamiliären Kleinkinderbetreuung im Kanton Wallis sowie Leiterin der Pouponnière valaisanne, Adoptionsvermittlerin und Abtreibungsgegnerin.
Marie-Rose Zingg wuchs als Einzelkind auf und verlor bereits im Alter von drei Jahren ihre Mutter. Ihr Vater, der Hotelier Albert Zingg, leitete Luxushotels an der Côte d’Azur und in den Walliser Alpen. Nach dem Ersten Weltkrieg war er Direktor des Kursaals Interlaken. Ihre Kindheit verbrachte Zingg bei der Familie ihrer Mutter in Cannes und bei der Grossmutter väterlicherseits in Basel, wo sie die Primarschule besuchte. Marie-Rose Zingg blieb unverheiratet, adoptierte aber einen Jungen (1927) und ein Mädchen (1931) aus dem Kinderheim.
Zingg kam 1914 ins Wallis, um eine Tuberkulose auszukurieren, erwarb in Sitten das Handelsschuldiplom und arbeitete 1919-1937 als Sekretärin der Walliser Handelskammer. Vom Willen getrieben, Kindern in Not zu helfen, gründete sie 1929 die Société pour l’enfance valaisanne. Der Verein setzte sich zum Ziel, eine Heimstätte für Kinder im Säuglings- und Vorschulalter zu schaffen, die vollständig oder vorübergehend von ihren leiblichen Eltern getrennt waren: uneheliche Kinder, Waisen, Kinder von arbeitenden Eltern oder Kinder, die besondere Pflege benötigten. Das Walliser Säuglings- und Kinderheim Pouponnière valaisanne öffnete 1931 in Sitten seine Tore. Neben ihrer Tätigkeit als Sekretärin der Handelskammer übernahm Zingg die Leitung der Einrichtung, die 1932 eine Kinderpflegerinnenschule (2004 Schliessung) und 1938 eine Sommerkolonie in einem Chalet in Les Mayens-de-Sion (2006 Schliessung) eröffnete. Marie-Rose Zingg warb von Anfang an Spendengelder ein und engagierte sich dafür, dass die Betreuung bedürftiger Kinder als notwendige öffentliche Aufgabe anerkannt wurde. In einer 1944 in der Wochenzeitschrift Die Nation erschienenen Reportage würdigten Peter Surava und Paul Senn ihren Kampf um die Rettung der Institution, die damals kurz vor dem Bankrott stand, und kritisierten die mangelnde Wertschätzung durch die Behörden sowie die geringe Unterstützung seitens der öffentlichen Hand. Der Artikel, der die Walliser Regierung sehr verärgerte, zog eine regelrechte Unterstützungsflut aus der ganzen Schweiz nach sich.
Um zusätzliche Einnahmen zu erzielen, führte Marie-Rose Zingg 1946-1973 mit Bewilligung der Behörden eine Entbindungsstation in den Räumen der Pouponnière. Das von ihr 1947 gegründete Œuvre Sainte-Elisabeth (1997 Schliessung) bot jungen ledigen, von ihren Familien verstossenen Müttern Zuflucht. Zingg erkannte den sich in den 1960er Jahren abzeichnenden gesellschaftlichen Wandel und die Notwendigkeit, geeignete Tagesstrukturen für Kinder von erwerbstätigen Frauen zu schaffen, und legte mit der Kinderkrippe Sacré-Coeur in Sion 1970 den Grundstein für die Nachhaltigkeit der Pouponnière valaisanne bis ins 21. Jahrhundert.
Neben ihrer Tätigkeit an der Pouponnière 1931-1971 betrieb Zingg 1932-1974 in fast gänzlichem Alleingang eine Vermittlungsstelle für Adoptionen. Sie handelte mit der Unterstützung des Bischofs von Sitten, Nestor Adam, jedoch ausserhalb jeglicher staatlicher Kontrolle und im gesetzlich nicht regulierten Bereich des Jugendschutzes: das entsprechende Gesetz zum Schutz Minderjähriger trat 1971 in Kraft und führte zur Gründung des kantonalen Jugendamts. Zingg wirkte darauf hin, dass unverheiratete junge Schwangere ihre Kinder zur Adoption freigaben, und wählte die Pflegefamilien im Wallis sowie teilweise in der übrigen Schweiz und im Ausland selbst aus. Sie betrachtete diesen Schritt als Akt der Nächstenliebe, um die Kinder zu «nützlichen Bürgern» zu erziehen, und setzte die biologischen Mütter teilweise unter Druck, die Verzichtserklärung zu unterschreiben. Auf diese Weise wurden zwischen 1931 und 1969 rund 300 Kinder fremdplatziert. Anfang der 1970er Jahre beteiligte sie sich an den Debatten zur Empfängnisverhütung (Geburtenregelung) und zur Abtreibung und stellte sich, ihrer religiösen Überzeugung entsprechend, hinter die Petition «Ja zum Leben, nein zur Abtreibung».
Marie-Rose Zingg erscheint in vielerlei Hinsicht als ambivalente, teilweise auch kontroverse Persönlichkeit: Sie wirkte sowohl wohltätig als auch moralisierend, liess sich von konservativen Werten und von Ansätzen einer «sozialen Mütterlichkeit» leiten. Mit der Unterstützung von bedürftigen Kindern und der Erweiterung der ausserfamiliären Kinderbetreuung baute sie das soziale Sicherheitsnetz in einem Bereich aus, in dem der Staat lange nicht aktiv wurde. Im gleichzeitigen Bestreben, die traditionelle Geschlechterordnung zu wahren, war sie indessen bereit, Rechte von Frauen zu beschneiden.