Das HLS will das bestehende Lexikonkorpus forschungs- und ereignisaktuell erweitern und damit Lücken schliessen. Der Schritt zu einem reinen Online-Lexikon bietet dabei die Chance, sich von alten Produktionszwängen zu befreien: Es ist nicht mehr das Alphabet, das den Takt angibt, sondern es ist die Forschung mit ihren Resultaten, welche die Arbeit der Redaktion inspiriert und leitet. Anhand des Beispiels Technikgeschichte wird hier exemplarisch aufgezeigt, wie die Redaktion und die Forschenden in Zukunft projektbezogen kooperieren und gemeinsam das Lexikon weiterentwickeln.
Die Technikgeschichte als Desiderat
Das HLS versteht sich als Teil der schweizerischen Forschungsinfrastruktur. Deshalb wurde die Neukonzeption als Online-Lexikon 2015 zahlreichen Forschungsinstitutionen zur Vernehmlassung vorgelegt. An dieser Vernehmlassung beteiligte sich auch David Gugerli, Professor für Technikgeschichte an der ETH Zürich. In seiner Antwort wies er darauf hin, dass weder die Buchausgabe noch die Überlegungen zum neuen HLS die Technikgeschichte genügend berücksichtigten. Das mute gerade für das Geschichtslexikon eines Landes wie der Schweiz doch eher merkwürdig an; immerhin sei die Schweizer Volkswirtschaft in den letzten zwei Jahrhunderten stark vom technischen Wandel in Produktion, Konsum und Infrastruktur geprägt worden.
Die Technikgeschichte als neue Unterkategorie
Im HLS griff der Fachbereich Sachthemen diese Anregung auf. Er filterte unter den bestehenden 3000 thematischen Stichwörtern ca. 250 Artikel mit technikgeschichtlichen Aspekten heraus und ordnete sie in der Hauptkategorie Wirtschaft den neuen Unterkategorien Technikgeschichte vor 1800 und Technikgeschichte nach 1800 zu. Für diese Unterkategorien entwarf der Fachbereich eine Liste mit 150 Stichwortvorschlägen, darunter solche über theoretische Grundbegriffe der Technikgeschichte wie "Pfadabhängigkeit", "Technikfolgen", "Grosstechnisches System" oder "Normung" und solche über konkrete Erfindungen wie die "Rolltreppe" oder den "Reissverschluss". Wieder andere Vorschläge können als Teil einer bestehenden Artikelserie verstanden werden, wie beispielsweise das Stichwort "Werkzeugmaschinen" neben den bereits bestehenden Artikeln "Landmaschinen" und "Haushaltsmaschinen". Die Konzeption der beiden neuen Unterkategorien erfolgte also nicht im luftleeren Raum, sondern war durch bestehende Inhalte und Strukturen des Artikelkorpus vorbestimmt. Solche Vorgaben schlugen sich zum Teil auch in der Begrifflichkeit der Artikeltitel nieder.
Das HLS stellt selbst keine Forschungsinstitution dar und ist deshalb nicht nur in der Beurteilung der konzeptionellen Ausrichtung, sondern auch bei der Weiterentwicklung der Inhalte auf den Austausch mit Forschenden angewiesen. So wurde im vorliegenden Beispiel David Gugerli als Experte und Gutachter für Technikgeschichte engagiert. Zusammen mit seinen Mitarbeiterinnen Gisela Hürlimann und Daniela Zetti überarbeitete er die Vorschläge für die neuen Unterkategorien der Technikgeschichte. Das Team der ETH Zürich strich Stichwörter, schlug andere vor und empfahl zahlreiche Forschende als mögliche Autorinnen und Autoren.
Die Qual der Wahl
Sehr schnell war klar, dass nicht alle vorgeschlagenen Stichwörter auf einen Schlag realisiert werden können. Es musste eine enge Auswahl getroffen werden. Um die Grundlage der Technikgeschichte im HLS auszubauen, wurden deshalb als erstes von Pierre-Yves Donzé, Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Osaka und Spezialist für die Geschichte der Industrialisierung, die Artikel Innovation und Technologie- und Wissenstransfer verfasst. Ersterer wurde von Ausführungen zum nationalen Innovationssystem in der Wirtschaftsgeschichte der Schweiz im 20. Jahrhundert (2012) angeregt, Letzterer durch das Themenheft Technologietransfer der Zeitschrift Traverse (2010/3). "Innovation" beleuchtet die Innovationskultur der Schweiz und seiner Unternehmen, während in "Technologie- und Wissenstransfer" den transnationalen Beziehungen Rechnung getragen wird, einem Thema, dem das HLS in Zukunft mehr Aufmerksamkeit schenken will. Beide Texte bieten zahlreiche Ergänzungen zu bestehenden Artikeln wie z.B. "Uhrenindustrie", "Chemische Industrie" oder "Eidgenössische Technische Hochschulen". Ergänzt werden diese beiden Stichwörter durch einen Artikel von Patrick Kupper, Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Innsbruck, über Technische Unfälle, der die Risiken der Technik behandelt. Der Schwerpunkt der neuen Beiträge liegt aber auf der Digitalisierung: Das Thema ist ausgesprochen forschungs- und ereignisaktuell und spiegelt zudem den Schritt des HLS in seine rein digitale Zukunft.
Wie geht es weiter?
Die Technikgeschichte wird mittelfristig systematisch ausgebaut. Für ca. 30 von den 150 Stichwortvorschlägen sind die Dispositionen bereits verfasst, die Realisierung aller Artikel wird aber noch geraume Zeit in Anspruch nehmen. Einerseits will das HLS mit den vorhandenen Ressourcen auch weitere Themen aufgreifen, andererseits liegen für viele Bereiche der Technikgeschichte – z.B. für die Medizinaltechnik – bis heute kaum Forschungsergebnisse vor, was auch die Suche nach Autoren und Autorinnen erschwert. Das HLS freut sich deshalb auf die Zusammenarbeit mit Forschenden, die sich künftig weiteren Bereichen der Technikgeschichte annehmen werden.