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Ein Fenster zu Gotthelfs Werk und Zeit

Autorin/Autor: Christian von Zimmermann
08.04.2020
Die historisch-kritische Jeremias Gotthelf-Edition richtet sich an ein breites Publikum

Jeremias Gotthelfs Werk bildet einen wesentlichen Bestandteil des kulturel­len Erbes der Schweiz. Während seine Person gefeiert und Ideen seines Wer­kes für Heimatfilme gebraucht wurden, existierten keine zuverlässigen Textaus­gaben für die Forschung oder für den Schulunterricht. Private Gotthelf-Interessierte nahmen deshalb den Kanton Bern in die Pflicht und der Berner Grosse Rat verabschiedete 2005 die Anschubfinanzierung für ein Projekt der Universität Bern. Dieses breite Interesse ist ein Glücksfall für die Philologie: Zwei 2004 und 2005 angelaufene Pilotprojekte wurden 2008 in das auf 30 Jahre angelegte Projekt einer Gesamtedition überführt und 2015 entstand an der Universität Bern die Forschungsstelle Jeremias Gotthelf, die auch weitere Projekte zur Geschichte und Literatur der Schweiz beheimatet.

Manuskript von Albert Bitzius für die Novelle Die schwarze Spinne, 1842 (Burgerbibliothek Bern, N Jeremias Gotthelf 6.7). Bild verwendet im Artikel Albert Bitzius.
Manuskript von Albert Bitzius für die Novelle Die schwarze Spinne, 1842 (Burgerbibliothek Bern, N Jeremias Gotthelf 6.7). Bild verwendet im Artikel Albert Bitzius.

Die historisch-kritische Jeremias Gotthelf-Edition bietet das Gesamtwerk des Pfarrers Albert Bitzius und des Volksschriftstellers Jeremias Gotthelf in grösstmöglicher Vollständigkeit dar: Neben der erstmaligen kritischen Edition sämtlicher greifbarer Handschriften präsentiert sie auch zum ersten Mal alle zu Lebzeiten des Dichters erschienenen Drucke wieder in ihrem originalen Wortlaut. Dabei setzt die Edition auf eine historisch-diskursive Kontextualisierung der Werke, sodass das politische, pastorale und literarische Wirken Gotthelfs aus seiner Zeit verstanden werden kann – und seine Zeit durch das Fenster seiner Werke. Die Edition will Gotthelf als Akteur in den politisch brisanten Umbruchzeiten der Regeneration und des frühen Bundesstaates herausarbeiten: Literarische Grossprojekte, kleinere Erzählungen und bedeutende Novellen, politische Zeitungsbeiträge, schul- und sozialpolitische Schriften sowie eine breite amtliche und private Korrespondenz sind am selben Schreibtisch entstanden, haben sich dort gegenseitig beeinflusst und mitunter kurios vermischt. Einen Bericht über seine Kirchgemeinde kann Gotthelf mit einem poetischen Bild beginnen, das den Auftakt zu einem Roman bilden könnte. In den Romanen finden sich teils überaus politische Stellungnahmen, etwa zur Armennot oder zu den Entwürfen zur neuen Berner Verfassung von 1846. Bekannte Romane werden ebenso wie unbekannte Werkteile in der Edition mit breiten Kommentaren versehen, welche diese vielfältigen Kontexte zugänglich machen.

Die Buchedition setzt auf eine klassische philologische Darbietung der Texte für ein akademisches Fachpublikum. Die digitale Edition hingegen will mit einem intuitiven Zugang weitere Nutzer wie Lehrpersonen und andere Interessierte ansprechen und auch die Zusammenarbeit mit dem Historischen Lexikon verfolgt dieses Ziel. Besonders die digitale Edition wird tatsächlich als ein Fenster fungieren, sodass sich, ausgehend von Gotthelfs Werken, Einblicke in die historischen, literarischen und sprachlichen Kosmen gewinnen lassen. Der virtuelle Raum der digitalen Edition wird zudem ergänzt durch den realen Raum eines Gotthelf-Zentrums in Lützelflüh: an jenem Ort, an dem der Schriftsteller Gotthelf unter seinem eigentlichen Namen Albert Bitzius über fast 25 Jahre als Pfarrer tätig war.

Christian von Zimmermann ist der Leiter der Forschungsstelle Jeremias Gotthelf. Weitere Informationen unter: http://www.gotthelf.unibe.ch

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