Seit über 450 Jahren besitzt die aus Chiavenna stammende Familie Pestalozzi das Bürgerrecht der Stadt Zürich. Ihre Mitglieder stiegen rasch in die Kaufmannsaristokratie auf, handelten mit Textilien, spezialisierten sich auf das Seidengeschäft, erwarben an bester Lage neun Stadthäuser und verbanden sich mit den führenden Familien Zürichs. Im 19. und 20. Jahrhundert brachte die Familie neben Wirtschaftsführern auch kantonale und eidgenössische Politiker und Politikerinnen hervor. Über die Jahrhunderte hinterliess sie vielfältige Spuren, auch ikonografischer Art.

Auf traditionelle Weise repräsentiert ein Stammbaum Geschichte und Bedeutung einer Familie. Der Baum der Pestalozzi wurzelt zwischen Gravedona am Comersee, dem Ort der urkundlichen Ersterwähnung der Familie, und Chiavenna, dem Heimatort von Johann Anton Pestalozzi, Begründer der Zürcher Familie. Dessen Nachfahren bilden mit jeder neuen Generation eine imposantere Einheit, einen Baum als Sinnbild für einen grossen und starken Familienverband. Auch Stammbäume werden gepflegt: Der hier abgebildete entstand 1858 als Ersatz für das schlecht erhaltene Original von ca. 1780, um die symbolische Repräsentation der Familie für die Zukunft zu sichern. Bei dieser Gelegenheit wurden auch die jüngsten Generationen ergänzt. Aufbewahrt im eigenen Familienarchiv, zeigt der Stammbaum entlang der männlichen Abfolge die Familie als Ganzes, obwohl die von den Töchtern und eingeheirateten Ehefrauen eingebrachten Verwandtschafts- und Beziehungsnetze darin nicht erscheinen und somit aus der kollektiven Erinnerung der Gemeinschaft verschwinden.

Beim Namen Pestalozzi denken wohl alle zuerst an den berühmtesten Vertreter des Zürcher Geschlechts, den Pädagogen Johann Heinrich Pestalozzi. Aufgrund seines Bekanntheitsgrades wurde er immer wieder bildnerisch festgehalten, in Öl auf Leinwand, an Hausfassaden oder als Denkmal. Sein Konterfei zierte Briefmarken, Banknoten und Medaillen, sodass er als einer der weltweit prominentesten Schweizer über eine eigene Ikonografie verfügt, die ihrerseits eine Geschichte über seine Rezeption und den Wandel seiner Darstellung erzählt.

Unter völlig umgekehrten Vorzeichen steht die Suche nach ikonografischen Spuren der weiblichen Familienmitglieder. Von der Anfang des 19. Jahrhunderts erfolgreichen Textilunternehmerin Cleophea Pestalozzi existiert beispielsweise ein Ölporträt, dessen Reproduktion erst nach einer aufwendigen Recherche den Weg ins HLS fand. Bezeichnenderweise wurde sie, die zu diesem Zeitpunkt mit Heinrich Escher vom Glas verheiratet war, als «Frau Hauptmann Escher, gebohrne Orell» porträtiert: Frauen nehmen im kollektiven Gedächtnis vor allem die Rolle als Ehefrau und Mutter ein. Cleophea Pestalozzis Rechnungsbücher aus dem Seidenhandel sind diesbezüglich ein Glücksfall, dank dem sich das Wirken einer Frau für einmal auch bildlich dokumentieren lässt.
Mit dem Aufkommen von Fotografie, Film und Ton vervielfältigen sich auch ikonografische Spuren: Hans A. Pestalozzi, der sich als Direktor des Gottlieb-Duttweiler-Instituts für wirtschaftliche und soziale Forschung und nach seiner Entlassung 1979 als Publizist einen Namen schuf, hinterliess nicht nur Bücher, sondern als streitbarer und mediengewandter Intellektueller auch Radio- und Filmbeiträge. Sprache und Habitus des Sprosses einer alteingesessenen Familie werden damit hör- und sichtbar.
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