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Petitionsrecht

Das Petitionsrecht, auch Petitionsfreiheit genannt, bezeichnet das von der Bundesverfassung (Artikel 33) und den Kantonsverfassungen garantierte Grundrecht, ohne persönliche Nachteile Eingaben (Bitten, Beanstandungen oder Anregungen) an Exekutivorgane oder Volksvertretungen zu richten. Es kann von jeder urteilsfähigen Person unabhängig von Bürgerrecht oder Mündigkeit, aber auch von Gruppen und juristischen Personen wahrgenommen werden.

Bittschriften mit politischen Inhalten (Beschwerden) an die Obrigkeit zu richten, war in der alten Eidgenossenschaft und im Ancien Régime zwar ein Mittel, um auf Missstände hinzuweisen, wurde aber – unter Berufung auf das Stanser Verkommnis – weitgehend unterdrückt und mit Sanktionen belegt. Die Helvetische Verfassung (Artikel 96) sah nach französischem Vorbild erstmals indirekt ein Petitionsrecht vor, von dem eifrig Gebrauch gemacht wurde. Die Mediationsverfassung sowie die Kantone liessen Petitionen nicht mehr zu, und Petenten wurden, wie etwa im Vorfeld des Bockenkriegs, teilweise kriminalisiert. Mit der Julirevolution in Frankreich erlebte das Petitionsrecht in den Kantonen einen neuen Aufschwung. Es kam zu einer Flut von Petitionen mit politischen und wirtschaftlichen Forderungen, etwa dem Ersuchen eines Einsatzverbots von Webmaschinen im «Uster-Memorial». Die kantonalen Regenerationsverfassungen nahmen das Petitionsrecht wieder förmlich auf. Mangels direktdemokratischer Mitwirkungsrechte der Volksinitiative und des Referendums entfalteten Petitionen vor allem politische Bedeutung. Sie spielten sowohl bei konservativen, liberalen und demokratischen Volksbewegungen eine namhafte Rolle, etwa beim Züriputsch, der radikalen Verfassungsänderung 1845 in der Waadt oder später in der demokratischen Bewegung. Schliesslich garantierten die Bundesverfassungen von 1848 (Artikel 47) und 1874 (Artikel 57) das Petitionsrecht ausdrücklich.

Medienwirksame Übergabe einer Unterschriftensammlung gegen Probebohrungen der Nagra in der Gemeinde Siblingen an die Bundeskanzlei in Bern im September 1980 © KEYSTONE/Photopress.
Medienwirksame Übergabe einer Unterschriftensammlung gegen Probebohrungen der Nagra in der Gemeinde Siblingen an die Bundeskanzlei in Bern im September 1980 © KEYSTONE/Photopress. […]

Mit der Einführung der direktdemokratischen Rechte in den Kantonen und später im Bund verlor das Petitionsrecht an politischer Bedeutung. Gleichwohl wurden über individuelle Bittschriften hinaus Petitionen immer wieder von allen Schichten der Bevölkerung benutzt und von Bewegungen und Interessenverbänden zur Durchsetzung von Forderungen eingesetzt. Bisweilen wurde den darin formulierten Anliegen mit Hunderttausenden von Unterschriften politisch Nachdruck verliehen, so etwa 1896 für eine diplomatische Intervention zugunsten von Armenien, 1929 zur Einführung des Frauenstimmrechts, 1932 für Abrüstungsanliegen, 1972 zum Erhalt der Kavallerie oder 2006 gegen die Schwächung der Hausarztmedizin und den drohenden Hausärztemangel.

Das Petitionsrecht verpflichtet die Behörde zur Kenntnisnahme der Petitionen, allenfalls zur Weiterleitung an die zuständigen Stellen, nach neuerer Lehre auch zur Beantwortung der Petitionen. Dem formlosen Charakter von Petitionen entsprechend lösen diese keine förmlichen Verfahren (im Sinne von Beschwerdeverfahren oder direkt-demokratischen Referendums- oder Initiativverfahren) aus und räumen insbesondere keinen Anspruch auf Erfüllung spezifischer Forderungen ein. Den Petenten dürfen aus der Ausübung des Petitionsrechts keine offenen oder versteckten Nachteile erwachsen; auch Bearbeitungskosten dürfen den Petenten nicht auferlegt werden. Dem verfassungsrechtlichen Schutz unterstehen über das Einreichen von Petitionen hinaus ebenso deren Vorbereitung sowie Unterschriftensammlungen (auf öffentlichem Grund oder in Anstalten). Nicht geschützt sind straf- und zivilrechtlich unzulässige Inhalte und Einflussnahme auf gerichtliche Verfahren. Verletzungen des Petitionsrechts können grundsätzlich gerichtlich angefochten werden.

Quellen und Literatur

  • W. Gisiger, Das Petitionsrecht in der Schweiz, 1935
  • A. Kölz, Neuere schweiz. Verfassungsgesch. 1, 1992
  • G. Steinmann, «Petitionsrecht-Kommentar zu Art. 33», in Die schweiz. Bundesverfassung, hg. von B. Ehrenzeller et al., 22008, (mit Bibl.)
Weblinks

Zitiervorschlag

Gerold Steinmann: "Petitionsrecht", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 27.09.2010. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/010370/2010-09-27/, konsultiert am 28.03.2024.