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Wohlen (AG)

Politische Gemeinde des Kantons Aargau, Bezirk Bremgarten. Die Grossgemeinde im Bünztal umfasst Wohlen und das 1914 definitiv eingemeindete Anglikon sowie Neuquartiere. 1179 Wolon. 1798 1397 Einwohner; 1850 2430; 1900 3274; 1920 4705 (mit Anglikon); 1950 6670; 1970 12'024; 2000 13'329.

Von der Frühgeschichte bis zur Römerzeit

Neben neolithischen und bronzezeitlichen Einzelfunden wurden in Wohlen Körpergräber von Männern, Frauen und Kindern aus der späten Hallstattzeit (7.-6. Jh. v.Chr.) entdeckt. Sie kamen bei den Ausgrabungen von zwei Hügeln auf dem Hohbühl durch die Historische Gesellschaft Wohlen und Umgebung 1925-1930 unter Leitung von Emil Suter zum Vorschein. Während die Frauen unter anderem mit reichem Schmuck wie bronzenen Arm- und Ohrringen, Fibeln und punzverzierten, breiten Gürtelblechen ausgestattet waren, enthielten die Männergräber nur wenige Beigaben wie Lanzen mit Spitzen aus Eisen. Vor allem den Frauen wurde darüber hinaus viel Bronzegeschirr mitgegeben: Schalen mit breitem Rand, Becken und Eimer (sogenannte Zisten und Situlen, die mit 33 cm Höhe teilweise beträchtliche Ausmasse erreichen). Diesen Bronzegefässen, die in Wohlen in einer für die Schweiz einmaligen Häufung vorkommen, verdankt das Grabhügelfeld auf dem Hohbühl seine Bedeutung. Ob sie in einheimischen Werkstätten hergestellt wurden, bleibt unklar. Sie zeugen von einem beträchtlichen Wohlstand der hier bestatteten Menschen, deren Wohnstätten bis jetzt nicht gefunden wurden. Aus der Römerzeit existieren Spuren von mindestens zwei Gutshöfen in Häslerau und in Brünishalde/Seewadel.

Gemeinde

Im Hochmittelalter verteilte sich die laut Acta Murensia freibäuerliche Bevölkerung in Wohlen auf zwei Gebiete: auf Wohlen rechts der Bünz und Wil auf der linken Seite des Bachs. Das Dorf Wohlen entstand um das Wegkreuz der Routen Muri-Baden bzw. Bremgarten-Lenzburg. Die Siedlungskerne im Oberdorf und Unterdorf, im Raum Chappele und bei der Steingasse, die sich um Grossbauern- und Grundherrenhöfe gebildet hatten, wuchsen wie der Weiler Wil erst im 17. Jahrhundert zum Dorf zusammen. Das einheimische Geschlecht von Wohlen (erwähnt 1185-1500) schaffte den Aufstieg in den habsburgischen Dienstadel. Im 12. Jahrhundert war das habsburgische Kloster Muri der grösste Grundbesitzer in Wohlen. Um 1200 trat es zwar Höfe an den nach Hermetschwil verlegten Frauenkonvent ab, hatte aber infolge von Zukäufen die Twingherrschaft ab 1437 allein inne. Muris Kastvögte, die Grafen von Habsburg, übten in Wohlen die Hoch- und Frevelgerichtsbarkeit aus. Wohlen gehörte zur Grafschaft Lenzburg und nach der Eroberung des Aargaus durch die Eidgenossen 1415-1712 zur gemeinen Herrschaft Freie Ämter. Nach dem Zweiten Villmergerkrieg 1712 und der Teilung der Freien Ämter kam Wohlen bis 1798 zur Landvogtei der Unteren Freien Ämter unter Zürich, Bern und Glarus. Die komplizierte Dorfstruktur unter verschiedenen Grundherren führte zu einer frühen Organisation der Gemeinde, die bereits 1406 über ein Dorfrecht verfügte (1487, 1691 erneuert).

Ohne eigene Kirche waren die Bewohner von Wohlen in die drei Kirchspiele Niederwil, Göslikon und Villmergen kirchgenössig. Die Herren von Wohlen stifteten für ihre Eigenleute eine 1185 erstmals erwähnte St.-Stephans-Kirche mit Tauf- und Begräbnisrecht. 1485 gelangte deren Kirchensatz ans Kloster Muri, das 1488 den alten Bau durch eine St.-Leonhards-Kirche ersetzte. 1518 wurde Wohlen selbstständige Pfarrei. In der Reformation schafften die Wohler 1529 die Messe ab. Im Zug der Rekatholisierung liess Muri 1531 die entweihte Kirche abbrechen und neu errichten. 1804-1807 wurde das Gotteshaus erneut durch eine Kirche nach Plänen von Niklaus Purtschert ersetzt. Die Reformierten, die sich im 19. Jahrhundert in der katholischen Gemeinde niederliessen, schlossen sich der Kirchgemeinde Bremgarten an. 1925 wurde die reformierte Kirche Wohlen gebaut und 1975 neu gestaltet. Zur seit 1956 selbstständigen Kirchgemeinde Wohlen zählen sechs weitere Gemeinden. Der ab 1641 belegte Schulunterricht fand bis zum Bau des ersten Schulhauses 1810 in Privathäusern statt. Das alte Schulgebäude diente 1854-1972 als Gemeindehaus, bevor es 1979 abgebrochen wurde.

Wohlen gehörte zum mittelländischen Agrarraum. Der Kornbau in Zelgen belegte beide Talseiten. Nach 1600 entstanden Rebberge. Bereits im Mittelland war Wohlen dank seiner günstigen Verkehrslage ein Grossdorf (12.-14. Jh., 50-66 Höfe) mit einer bis ins 16. Jahrhundert mehrheitlich bäuerlichen Bevölkerung. Als sich diese nach der letzten Pestwelle 1635 wieder erholte, waren die Landreserven der Gemeinde aufgebraucht. Da das ortsübliche Erbrecht mit Realteilung unter den Erben zu immer kleineren Hofgrössen führte, lag der Anteil der Vollbauern an der Gesamtbevölkerung schon im 17. Jahrhundert nur noch bei 20%, im 18. Jahrhundert bei 13%. Die restliche Bevölkerung wich auf Korn- und Viehhandel, Handwerk und Gewerbe aus. Daneben zogen einheimische Tauner mit wenig Kapital die verlagsmässige Strohflechterei zu einem schon im 18. Jahrhundert verdienstbringenden Geflecht- und Huthandel auf. Wohlen entwickelte sich zu einem protoindustriellen Zentrum. Bis ins 20. Jahrhundert prägte die exportorientierte Strohindustrie den Charakter Wohlens. Ihr weltweiter Erfolg fusste auf dem Zusammengehen von Fabrikproduktion (ab 1850) und kunstvoller Heimarbeit sowie dem Einsatz neuer Materialien und Techniken. Hinzu kamen Zuliefer- und Veredlungsfirmen wie Färbereien, Bleichereien, Hutmacher und Hutappreteure. In der Wirtschaftskrise der 1930er Jahre verlor die Strohindustrie ihre Monopolstellung in der Gemeinde; 1991 verschwand sie endgültig. Neue Industriebetriebe unter anderem aus dem Maschinen-, Werkzeug- und Messinstrumentenbau und der Bekleidungs-, Kunststoff- und Verpackungsindustrie sowie ein Eisenwerk übernahmen zum Teil die alten Fabrikgebäude und die Arbeiterschaft. Für den Anschluss ans Eisenbahnnetz förderten Gemeinde und Industrielle den Bau der Südbahn durch das Bünztal. Wohlen wurde zum Ausgangspunkt weiterer Bahnverbindungen: 1876 erfolgte die Strecke nach Bremgarten, 1882 jene nach Brugg und 1916 diejenige ins Seetal (Betrieb 1997 eingestellt). 1913-1977 verfügte Wohlen über ein Gaswerk. Typisch für sein altes Ortsbild ist das Nebeneinander von Fabriken, Wohn-, Gewerbe- und Geschäftsbauten ohne jede Zoneneinteilung. Die erste Bauordnung von 1928 und der Zonenplan von 1954 wirkten sich vor allem auf die Neuquartiere aus.

In der Helvetischen Republik gelangte Wohlen mit dem Freiamt 1798 zum Kanton Baden, 1803 als Teil des Bezirks Bremgarten zum Kanton Aargau. In der Dorfpolitik lösten die freisinnigen Unternehmer die führenden Bauern- und Grossgewerbefamilien ab. Bis 1950 stellte der Freisinn stets den Gemeindeammann. Dieser steht seit 1990 einem siebenköpfigen Gemeinderat hauptamtlich vor. Schon 1966 löste ein Einwohnerrat (40 Mitglieder) die Gemeindeversammlung ab. Seit 1972 besitzt Wohlen ein Verwaltungszentrum. Als grösste Gemeinde im Freiamt wurde Wohlen zum regionalen Zentrum, zum Beispiel im Bildungsbereich mit einer Bezirksschule (seit 1835 bzw. 1854), einem Lehrerseminar (1969-1978), einer Kantonsschule (seit 1976), einem Berufsbildungszentrum (seit 1894) mit gewerblich-industriellen und kaufmännischen Abteilungen und integrierter Berufsmittelschule. Regionale Aufgaben erfüllen das Alters- und Leichtpflegezentrum Bifang (1968 bzw. 1980), die Behindertenwerkstätte (1987) und das Wohnheim für Behinderte (1989 anstelle des ehemaligen Kinderheims) sowie seit 2005 das Sportzentrum Niedermatten.

Quellen und Literatur

  • SSRQ AG II/8; II/9
  • A.-M. Dubler, J.J. Siegrist, Wohlen, 1975
  • H. Külling et al., Wohlen 1887-1987: 100 Jahre Handwerker- und Gewerbeverein Wohlen, 1987
  • D. Kuhn et al., Strohzeiten, 1991
  • 100 Jahre Elektrizitäts- und Wasserversorgung, 1994
  • H. Koller, «Die Gräber der Späthallstattzeit im Freiamt (Kt. Aargau)», in JbSGUF 81, 1998, 119-170.
Von der Redaktion ergänzt
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Zitiervorschlag

Geneviève Lüscher; Anton Wohler: "Wohlen (AG)", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 17.11.2015. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/001681/2015-11-17/, konsultiert am 28.03.2024.