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Grippe

Grippe (lateinisch influentia) ist eine seit Jahrhunderten bekannte Infektionskrankheit, die durch Influenza-Viren verursacht wird. Diese schädigen die Schleimhaut der Atemwege und ermöglichen dadurch viralen Giftstoffen (Toxinen) oder bestimmten Bakterien den Eintritt in den Körper. Das Immunsystem wird dabei so stark geschwächt, dass der Körper auch für weitere schwere Infektionen anfällig wird. Die Influenza-Viren werden in der Regel über Tröpfcheninfektion von einem Menschen auf den anderen übertragen und verursachen aufgrund ihrer grossen Ansteckungskraft Epidemien und alle 10-15 Jahre eigentliche Pandemien (Ausbreitung über Länder und Kontinente). Pro Grippesaison rechnet man in der Schweiz mit 100'000-300'000 Erkrankungen und 400-1000 Todesfällen. Schutzimpfungen bilden die wichtigste Präventionsform.

Armeeangehörige während der sogenannten Spanischen Grippe 1918 im Spital von Olten (Archiv für Medizingeschichte der Universität Zürich).
Armeeangehörige während der sogenannten Spanischen Grippe 1918 im Spital von Olten (Archiv für Medizingeschichte der Universität Zürich).

Da die Symptome der Grippe ziemlich unspezifisch sind und mit jeder anderen akuten Atemwegserkrankung verwechselt werden können, ist die Identifikation historischer Grippezüge, auch aufgrund einer sich dauernd wandelnden medizinischen Nomenklatur, schwierig. Dies änderte sich erst 1933, als mit der erstmaligen Isolierung eines Influenza-Virus, der Erreger der Krankheit eruiert werden konnte. Unter den mindestens dreissig Grippepandemien der letzten 500 Jahre sticht jene von 1918 aufgrund ihrer besonderen Heftigkeit heraus. Mit weltweit zwischen 20 und 50 Mio. Todesopfern war sie weit verlustreicher als der Erste Weltkrieg. Die sogenannte Spanische Grippe, die ihren Ursprung wohl in Asien hatte, erfasste in der Schweiz in zwei Wellen ca. 2 Mio. Menschen. Sie forderte zwischen Juli 1918 und Juni 1919 24'449 Todesopfer (0,62% der Bevölkerung von 1918) und stellt damit die grösste demografische Katastrophe der Schweiz im 20. Jahrhundert dar. In allen Kantonen (ausser im Tessin) waren die Männer unter den Toten übervertreten. 60% aller Toten waren zwischen 20 und 40 Jahre alt, ein bislang ungeklärtes Phänomen. Tendenziell war die Sterblichkeit in den Peripherien höher als in den städtischen Zentren. Inwieweit auch sozioökonomische Faktoren das Mortalitätsniveau beeinflusst haben, bleibt umstritten.

Der Seuchenausbruch fiel in die Schlussphase des Ersten Weltkriegs und in eine Zeit heftiger sozialer Auseinandersetzungen, die im November 1918 im Landesstreik kulminierten. Die erste Grippewelle im Juli 1918, die unter den Diensttuenden der Armee bis zu 35 Opfer pro Tag forderte, zwang die Armeeleitung zum Abbruch oder zur Verschiebung aller militärischen Schulen. Gleichzeitig lancierte die Presse Angriffe auf die Armeeführung, insbesondere aber auf Carl Hauser, Chef der Armeesanität. Die in den Medien detailliert dargestellten, katastrophalen Unterkunfts- und Verpflegungsverhältnisse bewogen General Ulrich Wille als auch den Bundesrat, je eigene Untersuchungskommissionen einzusetzen, was zwar nicht zu einer Verbesserung der Zustände führte, die Volksseele aber allmählich wieder beruhigte. Die Monate Oktober und November 1918 waren geprägt von einer aufgeheizten, fast bürgerkriegsähnlichen Stimmung. Ohne Rücksicht auf die in diesen Tagen erneut ausbrechende Epidemie wurden Streiks durchgeführt und Truppen zur Sicherung der Ordnung in Zürich einberufen. Arbeiterschaft und Bürgerblock schoben sich gegenseitig die Schuld an den Hunderten von grippetoten Soldaten zu. Die Seuche erreichte allerdings auch abseits der Zentren in diesen Tagen ihren Höhepunkt und legte das öffentliche Leben grösstenteils lahm. Die zivilen Behörden wie auch die medizinische Kunst standen der Epidemie weitgehend machtlos gegenüber.

Aus Angst vor ähnlich verheerenden Pandemien führte die WHO 1946 ein internationales Grippeüberwachungssystem ein, an dem sich heute 110 nationale Grippezentren in 83 Staaten beteiligen. In der Schweiz erfolgt die Überwachung durch das Bundesamt für Gesundheit, das Nationale Zentrum für Influenza in Genf sowie das Sentinella-Meldesystem (mit ca. 150-250 beteiligten Ärzten). Ein 2004 vorgestellter Influenzapandemieplan soll die Auswirkungen einer neuerlichen Pandemie möglichst minimieren.

Quellen und Literatur

  • F. Schmid, Die Influenza in der Schweiz in den Jahren 1889-1894, 1895
  • C. Sonderegger, Die Grippeepidemie 1918/19 in der Schweiz, Liz. Bern, 1991
  • C. Ammon, Chronique d'une épidémie: grippe espagnole à Genève, 1918-1919, Liz. Genf, 2000
  • E. Horat, ««Gedenket heute unserer lieben Verstorbenen! Wählt nicht sozialistisch, wählt konservativ!!» Die polit. Landschaft der Zentralschweiz nach dem Ersten Weltkrieg zwischen grippetoten Soldaten und «bolschewist. Gefahr»», in Gfr. 159, 2006, 167-328
  • A. Rusterholz, "Das Sterben will nicht enden!" Die "Span. Grippe-Epidemie" 1918/19 in der Schweizer Armee mit besonderer Berücksichtigung der Glarner Militäropfer, 2010
  • A. Tscherrig, Krankenbesuche verboten! Die Span. Grippe 1918/1919 und die kant. Sanitätsbehörden in Basel-Landschaft und Basel-Stadt, 2016
Weblinks

Zitiervorschlag

Christian Sonderegger: "Grippe", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 21.12.2017. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/022714/2017-12-21/, konsultiert am 28.03.2024.