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BaarZG

Politische Gemeinde des Kantons Zug im nördlichen Teil der Schwemmebene der Lorze, bestehend aus dem Strassendorf Baar (1045 Barra) am alten Handelsweg zwischen Zuger- und Zürichsee, den Siedlungen Allenwinden, Blickensdorf und Inwil, ehemaligen Weilern, die seit den 1960er Jahren stark gewachsen sind, sowie der Hofgruppe Deinikon. Die fünf Gemeindeteile sind zugleich Korporationen. 1743 1831 Einwohner; 1850 2346; 1860 3323; 1900 4484; 1950 6992; 1960 9114; 1970 14'074; 2000 19'407.

Ältester Siedlungsplatz ist die plateauartige Höhenkuppe der Baarburg, auf der Funde von der mittleren Bronzezeit bis ins frühe Mittelalter gemacht wurden. An deren Fuss verlief ein schon in der Eisenzeit begangener Handelsweg. In der Ebene, dem Baarer Boden, datieren die ältesten menschlichen Spuren aus der Jungsteinzeit (ca. 2500 v.Chr.). Im Bereich der Pfarrkirche lagen spätbronze- und hallstattzeitliche Siedlungen und vermutlich ein römischer Gutshof. Ein weiterer wird in der Gegend von Blickensdorf vermutet. Zahlreiche Gräber im Umkreis der Kirche und nördlich des Dorfzentrums aus dem 7. Jahrhundert sowie alte Ortsnamen weisen auf eine intensive frühmittelalterliche alemannische Besiedlung des Gemeindegebiets hin. Der älteste, archäologisch nachgewiesene Kirchenbau stammt aus dem frühen 8. Jahrhundert, einem Zeitraum, den auch das Patrozinium St. Martin nahelegt. 858 kam Baar wohl als Teil des nahen Hofs Chama (Cham) an das Zürcher Fraumünster. 1045 besass das Kloster Schänis grundherrliche Rechte in Baar (1178 bestätigt), die es zu unbekannter Zeit wieder verlor. Das Kloster Muri hatte um 1150 Grundbesitz in Blickensdorf. Die Abtei Engelberg erwarb 1258 die Vogtei Notikon von den Habsburgern. Bedeutendster geistlicher Grundherr in Baar war jedoch das nahe Zisterzienserkloster Kappel. 1228 erwarb es von den Habsburgern deren Hof, 1239 vom Kloster Einsiedeln einen Hof und eine Mühle, die spätere Obermühle, die erst Ende 1998 den Betrieb einstellte. 1243 erhielt Kappel von Habsburg das bis 1268 strittige Patronatsrecht an der Pfarrkirche. Bis ins 15. Jahrhundert gewann die Zisterzienserabtei Herrschaftsrechte in Blickensdorf und Deinikon sowie weitere Besitzungen in der grossen Pfarrei Baar, die auch (bis 1611) Steinhausen, (bis 1479) Menzingen und (bis 1491) zürcherische Gebiete umschloss. Nicht genau fassbar sind die Besitzungen der Lenzburger und Kyburger. Die Habsburger kamen wohl ab 1173 zu Vogtei- und anderen Rechten in Baar, das zum habsburgischen Amt Zug zählte. Im 13. Jahrhundert traten sie viele Rechte an Kappel oder an weltliche Lehensträger wie die Ritter von Baar ab. Die Hünenberger besassen 1282 auf dem heutigen Gemeindegebiet Zehnten, Güter und Vogteirechte als habsburgische und andere Lehen oder Afterlehen. 1308 kauften sie den Turm von Baar, der vielleicht am Ausgang des Lorzentobels in der Burgweid stand. 1309 waren sie im Besitz der Wildenburg im Lorzentobel. Baarer Höfe von freien Bauern zählten zum habsburgischen Freiamt Affoltern. Sie bildeten vielleicht Kerne der Baarer Korporationen.

In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts erscheinen die Gemeindeleute von Baar, das bisher nur als Pfarrei eine Einheit gebildet hatte, erstmals als Gemeinschaft, die sich zusammen mit Ägeri, dem Berg (Menzingen) und der Stadt Zug in die Eidgenossenschaft eingliederte. In der Folge lösten sie sich aus ihren Abhängigkeiten, entwickelten eigene Gemeinde- und Korporationsorganisationen und etablierten Baar allmählich als selbstständige, die Zuger Standespolitik mitbestimmende Gemeinde des Äusseren Amts. 1387 versuchten die Kirchgenossen vergeblich, die Güter des Klosters Kappel zu besteuern. Bis ins 16. Jahrhundert kam es zu weiteren Konflikten mit Kappel. 1513 erwarben Stadt und Amt Zug vom Kloster die Niedergerichte Blickensdorf und Deinikon. 1526 kauften die Baarer Kirchgenossen von der in Aufhebung befindlichen Abtei den Kirchensatz von Baar mit den zugehörigen Rechten und Einkünften. Habsburgs Rechte waren bereits 1415 erloschen. Als Grenzgemeinde zu Zürich war Baar wiederholt kriegerischen Einfällen ausgesetzt, so 1443 im Alten Zürichkrieg, 1531 im Zweiten Kappelerkrieg, der mit dem in Deinikon geschlossenen Zweiten Landfrieden beendet wurde, 1656 im Ersten und besonders 1712 im Zweiten Villmergerkrieg. Im Rahmen ihrer weitgefassten und hartnäckig behaupteten Selbstständigkeit innerhalb des Standes Zug (Riedhandel Ende des 17. Jahrhunderts) legte die Gemeinde Baar ihr besonderes Gemeinderecht fest, so in den Gemeindeartikeln von 1669, die vor allem das Zugrecht, das Bürger- und Niederlassungsrecht sowie die Vergabe und Ausübung von Ämtern betrafen. Oberste Gewalt in der Gemeinde, die 1674 ein neues, grosses Rathaus baute, war die Gemeindeversammlung. Die Gemeinderäte waren zugleich Vertreter der Gemeinde im Zuger Stadt- und Amtrat. Die Nutzung der Allmenden, die zum Teil bis ins 19. Jahrhundert gemeinsam mit Korporationen benachbarter Gemeinden erfolgte, ist bis heute Sache der fünf eigenständigen Korporationen Baar-Dorf, Blickensdorf, Deinikon, Inwil und Grüt (Allenwinden), die dafür besondere Räte wählen und Rechtsordnungen zu Nutzungsrechten und Nutzungsformen erliessen (z.B. Baar-Dorf 1416, 1476, Blickensdorf 1514, Deinikon 1628, Inwil ca. 1510, 1525). In der Korporation Grüt genügt für das Nutzungsrecht das besondere Korporationsbürgerrecht und der Wohnsitz innerhalb der Korporation, während in den anderen Korporationen zudem der Besitz einer sogenannten Gerechtigkeit nötig ist. Die in der frühen Neuzeit einsetzende Tendenz zur Fixierung der Gerechtigkeiten, verbunden mit der Abschliessung des Korporations- und Gemeindebürgerrechts, führte zur klaren rechtlichen und wohl auch sozialen Schichtung der Einwohner in Genossen, welche sowohl Korporations- als auch Gemeindebürger waren und erhebliche politische und militärische (Solddienste) Bedeutung erlangten (z.B. die Andermatt), in solche, die nur das Gemeindebürgerrecht besassen, und in Hintersassen. Eine späte Folge davon war der lange und parteipolitisch verschärfte Streit um die Aufteilung der Gemeindegüter, vor allem das Rathaus und die Fonds, welcher 1874 nach der Trennung der Gemeinde in eine Einwohner-, Bürger- und Kirchgemeinde besonders zwischen der liberalen Einwohnergemeinde und der konservativen Bürgergemeinde ausbrach.

Im 18. und 19. Jahrhundert war der Baarer Boden berühmt für seine vielen Obstbäume, die Exportprodukte wie Dörrobst und gebrannte Wasser lieferten, während der bis Ende des 19. Jahrhunderts bestehende Weinbau vor allem dem Eigengebrauch diente. Wichtig war auch die Viehwirtschaft. 1629 kaufte das Kloster Wettingen unter dem in Baar geborenen Abt Peter Schmid den nahe einer schon im 16. Jahrhundert bekannten Badstatt liegenden Hof Walterswil und liess ihn zu einem regional bedeutenden Bad ausbauen, das bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts bestand. Walterswil war zugleich Marienwallfahrtsort. Im 18. Jahrhundert verbreitete sich wie im übrigen Kanton Zug die von Zürcher Verlegern dominierte verlagsmässige Textilproduktion (Baumwollspinnerei, später auch Seidenspinnerei und Seidenweberei), die ihre Bedeutung im ausgehenden 19. Jahrhundert wieder verlor. Wichtig für die wirtschaftliche Entwicklung von Baar waren die Lorze und ihr kurzer Seitenarm, der Mühlebach. Sie lieferten Kraft für Getreidemühlen, Säge- und Hammerwerke und für zeitweise zwei Papiermühlen, von denen eine wohl ins 16. Jahrhundert zurückreichte. Im Zuge der Industrialisierung folgten Elektrizitätswerke (ab 1889) und vor allem die mit zürcherischem Kapital gegründete Spinnerei an der Lorze, die 1855 ausserhalb von Baar an der neuen Strasse nach Sihlbrugg den Betrieb aufnahm. Die dritte und grösste Baumwollspinnerei im Kanton, die bald für kurze Zeit die grösste in der Schweiz sein sollte und 1879 in der Fabrikation 495 Personen, mehrheitlich Frauen, beschäftigte, bewirkte grosse Änderungen in Baar: 1850-1860 wuchs die Einwohnerzahl um 42%, vor allem durch Zuwanderer aus anderen Kantonen, deren Zahl um 330% auf 1145 stieg. Mit ihnen stieg auch die Zahl der Protestanten (1850 12, 1860 209), weshalb 1863 unter Mithilfe der Spinnerei und ohne grosse katholische Widerstände in Baar die reformierte Kirchgemeinde des Kantons Zug gegründet wurde, welche 1867 die nahe der Spinnerei erbaute erste reformierte Kirche im Kanton einweihen konnte. Da die Spinnerei in ihrem Umkreis Kosthäuser für die Arbeiterfamilien erstellte und Wohnhäuser für das Kader entstanden, bildete sich abseits des alten Dorfkerns von Baar ein neuer Ortsteil. Bis 1919 folgten weitere, zum Teil in direktem Zusammenhang mit der Spinnerei stehende Betriebe der Holzverarbeitung (Holztextilspulen 1869, Holzwarenfabrik 1913, die 1938 als Möbelfabrik weitergeführt wurde), der Nahrungs- und Genussmittelproduktion (Brauerei 1862, Mühle 1905), des Metall- (1900) und Apparatebaus (Wasserwirtschaftsapparate 1919) sowie der Energiegewinnung (Elektrizitätswerk Baar 1896, 1897-1992 von der Spinnerei betrieben), welche Baar zur Industriegemeinde machten. 1905 waren die Hälfte der in der Gemeinde beschäftigten Personen im Industriesektor, gut ein Drittel in der Land- und Forstwirtschaft, ein Achtel im Dienstleistungssektor tätig. 1910 arbeitete ein Sechstel der in der Gemeinde wohnhaften Berufstätigen ausserhalb der Gemeinde, wohl vor allem in Industriebetrieben der nahen Stadt Zug. Vorgängig und parallel zu dieser Entwicklung wurden die Verkehrswege ausgebaut: Der Bau einer neuen Strasse nach Zug 1840 und nach Sihlbrugg 1849-1851, mit späterer Weiterführung durch das Sihltal nach Zürich, bot einen leistungsfähigeren Ersatz für den alten Handelsweg Zug-Horgen-Zürich. Zudem ergab sich Ende der 1850er Jahre die von der Gemeinde begünstigte und von der Spinnerei auch finanziell geförderte Chance, Baar mit einem Bahnhof bei der Spinnerei an die geplante Linie Zürich-Luzern der Ost-West-Bahn anzuschliessen, was aber am Konkurs der Gesellschaft 1861 scheiterte. Erst 1897 erhielt Baar dank der neuen Sihltallinie der Nordostbahn einen Anschluss an das Eisenbahnnetz, dem 1913 der Einbezug ins kantonale Tramnetz folgte. Ende der 1920er Jahre geriet die Spinnerei in eine lang anhaltende Absatzkrise, die zu grossen Arbeitsplatzverlusten führte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg führten Standortvorteile wie günstige Steuern und die Verkehrslage, die 1979 durch den Anschluss an das Nationalstrassennetz weiter aufgewertet wurde, zur Ansiedlung von teils internationalen Produktionsfirmen (Chemie, Kosmetika, Spielwaren), vor allem aber von Dienstleistungsbetrieben. Deren Zahl verdoppelte sich zwischen 1955 und 1975 fast auf 300, während die Zahl der Produktionsbetriebe nur wenig zunahm. Entsprechend verschob sich das Schwergewicht der Arbeitsplätze in der Gemeinde (1990 9344) in den 3. Sektor, der 1990 mit 58% (1955 16%) erheblich mehr Stellen umfasste als der vormals dominierende 2. Sektor (1955 65%, 1990 39%). Bezeichnend für diese Entwicklung ist – nach langjährigem Stellenabbau – die Betriebseinstellung der Spinnerei 1993, der Möbelfabrik Viktoria 1998 und der Lego-Spielwarenfabrik 2001. Stark rückläufig ist die Landwirtschaft, die 1990 noch knapp 3% der Stellen bot (1955 19%). Parallel zur Wirtschaft wuchs die Bevölkerung, besonders durch den Zuzug aus anderen Kantonen und aus dem Ausland (Ausländeranteil 1950 8%, 1970 20%). Die Verdoppelung der Einwohnerzahl zwischen 1950 und 1970 und die damit verbundene bauliche Entwicklung stellte die 1963 mit 10'000 Einwohnern statistisch zur Stadt gewordene Gemeinde vor grosse Infrastrukturprobleme. Baar wurde Teil der Agglomeration Zug, eine erste Zonenplanung und Bauordnung trat 1955 in Kraft, 1977 erfolgte der Ausbau des seit 1894 bestehenden Asyls zum Regionalspital. Nach 1970 flachte das Wachstum deutllich ab. Zur Agglomerationsbildung gehört eine wachsende Mobilität: Trotz der vielen Arbeitsplätze Baars waren 1990 57% der in Baar wohnhaften Erwerbstätigen Wegpendler, 58% der Arbeitsplätze von Zupendlern besetzt. Mit der 1947 geschaffenen Räbefasnacht ist die Etablierung einer eigenständigen Tradition gelungen.

Quellen und Literatur

  • A. Müller, Gesch. der Korporation Baar-Dorf, 1945
  • Heimatbuch Baar 1-, 1952-
  • W. Ammann, 100 Jahre Spinnerei an der Lorze Baar, 1854-1954, 1954
  • Kirche St. Martin Baar, 1974
Von der Redaktion ergänzt
Weblinks
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Zitiervorschlag

Renato Morosoli: "Baar (ZG)", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 08.09.2009. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/000787/2009-09-08/, konsultiert am 12.04.2024.