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Verzascatal

Tal des Kantons Tessin, 25 km lang, das sich vom Einzugsgebiet am Pizzo Barone bis zur Mündung der Verzasca in den Langensee erstreckt, sowie Kreis des Bezirks Locarno. Der Kreis Verzasca umfasst die Gemeinden Lavertezzo, Cugnasco-Gerra (2008 hervorgegangen aus der Fusion von Cugnasco und Gerra Verzasca) und Verzasca (2020 entstanden durch die Fusion von Brione Verzasca, Corippo, Frasco, Sonogno, Vogorno sowie Lavertezzo Valle und Gerra Valle). Manchmal werden auch Mergoscia, Tenero-Contra und Gordola zum Verzascatal gezählt, auch wenn sie nicht zum Kreis Verzasca gehören. Cugnasco-Gerra und Lavertezzo umfassen die in der Magadinoebene gelegenen ehemaligen Terricciole, die bis 1920 unverteilter Besitz von Locarno, Minusio und Mergoscia waren. Die Terricciole wurden den beiden Gemeinden zugesprochen, weil sie vornehmlich von Bewohnern aus dem Verzascatal erschlossen worden waren. Kreis Verzasca: 1596 2609 Einwohner; 1801 2912; 1850 2969; 1900 3311; 1950 2181; 2000 3931.

Der Eingang zum Verzascatal mit der Contra-Staumauer und dem Lago di Vogorno; im Vordergrund der Langensee mit der Mündung des Flusses Verzasca (rechts). Luftbild der Swissair Photo AG, aufgenommen am 17. Juli 1980 (ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv, LBS_L1-807516).
Der Eingang zum Verzascatal mit der Contra-Staumauer und dem Lago di Vogorno; im Vordergrund der Langensee mit der Mündung des Flusses Verzasca (rechts). Luftbild der Swissair Photo AG, aufgenommen am 17. Juli 1980 (ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv, LBS_L1-807516).

Wahrscheinlich schon gegen das Jahr 1000 bildeten die Bewohner des Verzascatals den Personenverband der vier Nachbarschaften Vogorno (mit Corippo), Lavertezzo, Brione (mit Gerra) und Frasco (mit Sonogno). Die Talschaft gehörte zur Pieve Locarno, erhob sich aber 1398 mit dem oberen Maggiatal und Mergoscia gegen diese; die Talleute begaben sich nach Locarno, um mehr Unabhängigkeit und eine Senkung der Abgaben an den Adel einzufordern. Sie erreichten die Bildung eines eigenen Gerichtsbezirks mit dem Gerichtsort Cevio. 1410-1500 fiel das Verzascatal nacheinander unter die Herrschaft der eidgenössischen Orte, der Herzöge von Savoyen, der Leventina und der Rusca. In der Landvogteizeit (Landvogt) war die Talgemeinde Verzasca wieder Locarno zugeteilt und wurde von einem Podestà und einem Untervogt regiert. Die wichtigen Ämter besetzten bald auswärtige Familien, vor allem die Marcacci, die im 17. Jahrhundert das Amt des Podestà innehatten. Nach 1686 gelang es den Gemeinden, sich von den unbeliebten Marcacci zu befreien und die Ämter wieder mit Einheimischen zu besetzen. Abwechselnd stellte je eine der Nachbarschaften den Podestà und den Untervogt. Das höchste Organ war die Versammlung der Talgemeinde (Gemeindeversammlung). 1803 wurde der Kreis Verzasca mit dem Hauptort Lavertezzo geschaffen. Kirchlich gehörte das Verzascatal bis zum 13. Jahrhundert zur Pfarrei San Vittore von Locarno; dann entstand die Pfarrkirche in Vogorno, von der sich allmählich weitere Pfarrsprengel ablösten.

Wichtigster Erwerbszweig war die Viehwirtschaft, die ab dem Mittelalter in Form der Wanderweidewirtschaft (Transhumanz) betrieben wurde. Die Familien wechselten mehrmals im Jahr ihren Aufenthalt, zogen im Winter vom Dorf in die Ebene und in den anderen Jahreszeiten über mehrere Höhenstufen bis hinauf zu den Alpweiden. Zudem trieben einige wenige Hirten ihre Viehherden über den Winter auf die Weiden des Val Resa, des Luganese oder des Misox. Diese Tätigkeiten ergänzten unterschiedliche Formen der Auswanderung männlicher Arbeitskräfte, so ab dem 16. Jahrhundert die saisonale Auswanderung von Dienern, Kaminfegern, Maurern und Taglöhnern, die im Winter in den Nachbarländern arbeiteten, sowie ab 1850 die dauerhafte Emigration vor allem nach Übersee. Die Hälfte dieser Auswanderer aus dem Locarnese stammte aus dem Verzascatal. Lange haftete den Bewohnern des Verzascatals der Ruf an, «wild und rebellisch» zu sein. Sie versorgten sich weitgehend selbst, sowohl was die Ernährung als auch die Bekleidung und die Gerätschaften betrifft. Die überschüssigen Erzeugnisse wurden auf dem Markt von Locarno verkauft.

Die Casa Genardini im Zentrum von Sonogno beherbergt das Ethnologische Museum (Museo di Val Verzasca), Aufnahme aus dem Jahr 2018 (Centro di dialettologia e di etnografia, Bellinzona; Fotografie Gabriella Meyer).
Die Casa Genardini im Zentrum von Sonogno beherbergt das Ethnologische Museum (Museo di Val Verzasca), Aufnahme aus dem Jahr 2018 (Centro di dialettologia e di etnografia, Bellinzona; Fotografie Gabriella Meyer). […]

Eine Fahrstrasse nach Lavertezzo wurde 1865 gebaut und 1873 bis Sonogno geführt. Ab 1873 entstanden vor allem in der Gegend von Brione einige Granitsteinbrüche (Steinindustrie). Die intensive Waldnutzung (Holzwirtschaft) vor allem im 19. Jahrhundert führte zu Überschwemmungen und verheerenden Erdrutschen. Eine wichtige Einkommensquelle stellte noch zu Beginn des 21. Jahrhunderts die in Heimarbeit geleistete Wollverarbeitung dar, die ab 1931 von der Commissione per i lavori a domicilio (seit 1933 Pro Verzasca) reorganisiert wurde. 1979 entstand in Sonogno das Museo di Val Verzasca. Die Nutzung der Wasserkraft der Verzasca begann um die Jahrhundertwende, als die Stadt Lugano in Tenero ein Elektrizitätswerk baute. 1961-1965 erstellte die Verzasca SA das Stauwerk von Vogorno; der Stausee Lago di Vogorno überflutete ein Gebiet von 160 ha. Der Fremdenverkehr, insbesondere der Tagestourismus, ist seit den 1970er Jahren stark angewachsen. 2005 stellten der 1. Sektor 13%, der 2. 41% der Arbeitsplätze im Verzascatal.

Quellen und Literatur

  • Gschwend, Max: Das Val Verzasca (Tessin). Seine Bevölkerung, Wirtschaft und Siedlung, 1946 (italienisch 20082).
  • Bianconi, Giovanni: Valle Verzasca, 1966 (19803).
  • Lurati, Ottavio; Pinana, Isidoro: Le parole di una valle. Dialetto, gergo e toponimia della Val Verzasca, 1983 (Publications de la Société suisse des traditions populaires, 68).
  • Bianconi, Sandro: «"In Roma v'è della gran gente". Domestici verzaschesi a Roma nella seconda metà del '700», in: Archivio storico ticinese, 111, 1992, S. 37-52.
Von der Redaktion ergänzt
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Zitiervorschlag

Daniela Pauli Falconi: "Verzascatal", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 20.04.2021, übersetzt aus dem Italienischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/008299/2021-04-20/, konsultiert am 18.04.2024.